Beschäftigungsangebote mit Gehörlosen. Grundlagen und Tipps für die Praxis
Vor einiger Zeit hat uns diese Frage erreicht:
Vielen Dank für die immer neuen, schönen Ideen! Schaue da oft und gerne hinein. Nun bin ich auf der Suche nach Angeboten (Gedächtnistraining usw.) wenn auch 1-2 Gehörlose anwesend sind.
Habe leider nichts darüber gefunden. Haben sie vielleicht Tipps oder Anregungen?
Vielen Dank!
Das Thema “Aktivierungs- und Beschäftigungsangebote mit Gehörlosen” fanden wir so interessant und wichtig, dass wir entschieden haben, einen Beitrag für alle Leser dazu zu veröffentlichen.
Das Thema Gehörlosigkeit ist viel, viel weitreichender, als wir es je hier ausführen können. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Angebote für Gehörlose in unterschiedlichen Altersstufen. Was wir uns hier anschauen möchten, sind Möglichkeiten für Angebote in gemischten Seniorengruppen, in denen es keine ausgebildeten Fachkräfte gibt, die zum Beispiel die Gebärdensprache beherrschen.
Uns ist ziemlich schnell bewusst geworden, dass es leider wenig Literatur zu diesem Thema gibt. Dabei haben wir gerade im Seniorenbereich fast täglich mit Höreinschränkungen zu tun. Auch wenn dies nicht immer Menschen sind, die gehörlos sind, haben viele Senioren leichte oder schwere Einschränkungen in ihrem Hörvermögen.
Was man diesbezüglich auf keinen Fall unterschätzen sollte, sind die psychischen, sozialen und emotionalen Auswirkungen, die eine Hörminderung oder eine Gehörlosigkeit auf die Betroffenen haben. Viele Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen ziehen sich lieber zurück, da der Alltag in einer “hörenden Umgebung” für sie mit viel Anstrengung verbunden ist.
Was in Beschäftigungsangeboten mit Gehörlosen wichtig ist
Wie kann man die Betroffenen also im Alltag und in Aktivierungsangeboten unterstützen? Wie integriert man sie in Gruppen? Wie macht man ihnen Kontakte zu anderen wieder angenehmer?
Wir haben einige Tipps und Ideen gesammelt, die Ihnen bei der Planung und der Umsetzung sowohl in Gruppenangeboten, als auch im alltäglichen Kontakt mit Gehörlosen helfen können.
Raumgestaltung und Kommunikation
Bei der Raumgestaltung für Angebote mit gehörlosen Menschen spielt die Akustik eine große und wichtige Rolle. Die Räume sollten möglichst so konzipiert sein, dass wenig Hall erzeugt wird. Wirksam sind diesbezüglich Teppichböden (am besten fest verlegt), Bilder an den Wänden, Gardinen an den Fenstern und Pflanzen, die im Raum verteilt werden.
Stör- und Hintergrundgeräusche sollten so gut wie möglich vermieden werden. Vielleicht gibt es einen Raum in Ihrer Einrichtung, der etwas abgelegen liegt. Hilfreich ist es für die Gehörlosen außerdem, wenn die Türen geschlossen sind (sofern keine anderen Gründe dagegen sprechen).
Ein weiterer entscheidener Faktor, der die Betroffenen unterstützen kann, ist das Licht. So sollten die Lichtquellen (Tageslicht von draußen und Lampen im Raum) so auf das Gesicht der Gruppenleitung/der Person, mit der kommuniziert wird, fallen, dass keine Schatten entstehen und die Mimik und Gestik gut zu erkennen sind.
Halten Sie Blickkontakt mit den Betroffenen. Sprechen Sie langsam und deutlich, aber nicht zu unnatürlich – die Gehörlosen lesen von den natürlichen Bewegungen Ihrer Lippen ab. Sollte jemand nur eine Hörminderung haben, sprechen Sie außerdem laut und klar in normaler Stimmlage.
Arbeiten Sie mit Mimik, Gestik und auch Symbolen. Schilder mit Symbolen für die Mahlzeiten oder verschiedene Aktivierungsangebote schaffen gegenseitiges Verstehen und Vertrautheit bei den Betroffenen.
Die Planung der Aktivierungsangebote
Bei der Planung von Beschäftigungsangeboten mit Gehörlosen ist es wichtig im Hinterkopf zu haben, dass die Kommunikation für die Betroffenen viel schwieriger ist, als für Menschen, die normal hören können. Das Kommunizieren ist hier bereits ein Übungsfeld für die Mitmachenden. Sowohl das Verstehen des Gegenübers, als auch das sich selbst (für die Anderen) verständlich Ausdrücken bedarf einem hohen Maß an Konzentration. Die Aufmerksamkeit und die Konzentration können bei den Gehörlosen deswegen schneller nachlassen. Deshalb ist es wichtig, regelmäßige Pausen in die Angebote zu integrieren. Für die Betroffenen sollten die Pausen möglichst geräuscharm sein, damit sie sich wirklich erholen können.
Auch die Länge der Beschäftigungsangebote an die Ressourcen der Mitmachenden angepasst sein. Das kennen wir beispielsweise von Angeboten mit Menschen mit Demenz. Sie wissen am besten, wie lange die Betroffenen an dem Angebot teilhaben können, um einerseits Freude dabei empfinden zu können und andererseits nicht überfordert zu werden.
Ziele
Im Rahmen der Ergotherapie bei Gehörlosen bzw. Menschen mit Hörminderungen wird unter anderem auf die Kommunikationsfähigkeit der Betroffenen und die Teilhabe an einer Gemeinschaft eingegangen, die Konzentration geschult, aber auch viel Fokus auf den Gleichgewichtssinn gelegt.
Was man immer im Hinterkopf haben sollte: Unser Gleichgewichtssinn liegt im Innenohr und kann in vielen Fällen bei Hörminderungen oder Gehörlosigkeit ebenfalls beeinträchtigt sein.
Sie machen in Ihren Beschäftigungsangeboten zwar keine Therapie mit den Betroffenen, für Bewegungseinheiten und für Übungen, bei denen zum Beispiel Konzentration gefordert ist, ist dieses Wissen bezüglich des Gleichgewichtssinnes und der Konzentrationsfähigkeit dennoch sehr wichtig.
Beispielsweise ist es sehr wohl möglich, dass Sie Gleichgewichtsübungen mit den Betroffenen machen. Machen Sie sich dafür vorher ein Bild über die Fähigkeiten und Einschränkungen und treffen Sie die üblichen Sicherheitsvorkehrungen.
Für das Leben und Erleben im Alltag ist die Kommunikation für die Gehörlosen ein ganz wichtiger Aspekt. Viele ziehen sich aufgrund ihrer Einschränkungen zurück. Perfekt wäre natürlich ein Umfeld, was auf die Schwierigkeiten der Betroffenen eingeht und viel Verständnis mitbringt. In Einrichtungen, in denen gehörlose Menschen mit Hörenden zusammenleben, ist dies – gerade im Bereich der Altenpflege, in dem wir es mit sehr vielen und unterschiedlichen Krankheitsbildern zu tun haben – fast unmöglich oder zumindest sehr schwierig umzusetzen. Das sehen wir zum Beispiel tagtäglich bei der Begleitung von Menschen mit Demenz in gemischten Gruppen. Unserer Meinung nach ist es aber sehr wichtig, die Menschen im Umfeld trotzdem für die Einschränkungen der Betroffenen zu sensibilisieren. Auch wenn Frau Müller nur eine Dame auf ihrem Wohnbereich hat, die ihr beim sprechen in die Augen schaut, langsam und deutlich spricht, ist das ein großer Erfolg und kann für Frau Müller eine Bereicherung und ein Symbol der Wertschätzung sein. Und dies wiederum stärkt das Wohlbefinden!
Beschäftigungsangebote mit Gehörlosen – Die Praxistipps
Die Kür besteht in gemischten Gruppen daraus, jeden einzelnen in die Angebote einzubinden und allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Das gegenseitige Verständnis haben wir eben schon einmal aufgegriffen, ist aber zugegebenermaßen je nach Gruppe schwierig zu vermitteln. Vielleicht kann man die Gruppen ab und an darauf hinweisen, dass zu viele Hintergrundgeräusche das Verstehen für die Gehörlosen noch schwieriger machen.
Wir können uns sowohl Bewegungsangebote mit Gehörlosen in der Praxis gut vorstellen, als auch Spiele, Wahrnehmungsübungen, kreative Angebote und Einheiten mit Musik.
Spiele
Klassische Legespiele, Memospiele und Zuordnungsspiele können mit den Betroffenen immer gut gemacht werden. Die Erklärungen lassen sich durch Vormachen einfach vermitteln. Auf Mal-alt-werden.de finden Sie zahlreiche solcher Spiele, die Sie einfach ausdrucken können.
Bewegungsangebote
Auch Bewegungsübungen im Rahmen der Sitzgymnastik lassen sich gut vormachen. Beachten Sie, dass Sie die Übungen eventuell öfter wiederholen müssen, da die Gehörlosen erst einmal zuschauen und erst später mit in die Bewegungen einsteigen.
Für Bewegungsgeschichten mit Tüchern kann ein Flipchart hilfreich sein. Schreiben Sie zum Beispiel die Schlüsselwörter und ggfs. die entsprechende Farbe auf, so können die Betroffenen sich besser orientieren. Lesen Sie langsam und deutlich und zeigen Sie mit Mimik und Gestik an, wann ein Schlüsselwort kommt. Wichtig ist auch hier, dass die Gehörlosen Sie unbedingt sehen können und Sie immer wieder den Augenkontakt suchen.
Bei Bewegungsliedern könnten Sie den Betroffenen mit der Gruppe den Takt “spürbar” machen, indem Sie im Takt abwechselnd mit den Beinen aufstampfen und ggfs. dann nur begleitende Bewegungen mit den Armen machen. Die Bewegungen können die Gehörlosen dann wieder imitieren. Wenn Sie mitsingen, singen Sie wieder deutlich, sodass von Ihren Lippe abgelesen werden kann. Je nach Einschränkungen können Sie den Titel auch hier an ein Flipchart schreiben. Alternativ sind auch Sitztänze ein geeignetes Angebot. Die Bewegungen können auch von Gehörlosen gut einstudiert und mitgetanzt werden.
Kreatives
Hier eignet sich eigentlich alles, was den Senioren Freude macht! In unserem kostenlosen Angebot finden Sie Malvorlagen und Ideen für Bastelarbeiten zu den verschiedensten Themen und mit unterschiedlichen Materialien. Die einzelnen Arbeitsschritte können Sie den Gehörlosen gut vormachen. Bei Bastelarbeiten ist es ratsam, ein fertiges Produkt dabei zu haben oder zumindest ein Bild davon zu zeigen.
Bei den Malvorlagen können die Betroffenen selbstverständlich auch Mitraten, um welchen Schlager oder um welches Volkslied es sich handelt.
Musikalische Angebote mit Gehörlosen
In musikalischen Angeboten muss man sehr gut schauen, wie die Gehörlosen Musik erleben können. Manch einer hört noch gerne Musik – eben nur sehr laut. Dem anderen ist die laute Musik sehr unangenehm. Musik in Angeboten für Gehörlose sollte zudem auf keinen Fall als Hintergrundmusik dienen. Dies wären nur Geräusche, die das Verstehen beeinträchtigen.
Wie auch bei den Bewegungsliedern beschrieben, ist es möglich, den Gehörlosen das musikalische Erleben durch bewusstes Klopfen, Klatschen oder Stampfen des Taktes spürbar zu machen. Auch einzelne Musikinstrumente, die im Takt gespielt werden können, sind dafür ein gutes Mittel. Möglich wären hier beispielsweise die Triangel, eine Trommel oder Klangstäbe.
Schreiben Sie den Titel des Liedes, das gerade gesungen wird, an ein Flipchart. Stellen Sie wieder sicher, dass die Betroffenen Sie gut sehen und von Ihren Lippen ablesen können.
Mithilfe der Vibrationen, die die Bewegungen und die Instrumente im Takt erzeugen, dem Lippenlesen und dem Beobachten der anderen Sängerinnen, Sänger und der Instrumente, ist es den Gehörlosen so auch möglich, an musikalischen Angeboten teilzuhaben. Und auch hoffentlich Freude daran zu haben.
Wahrnehmungsangebote
Angebote zur Wahrnehmungsanregung und Sinneserfahrung eignen sich ebenfalls sehr gut. Wahrnehmungsangebote laufen üblicherweise größtenteils nonverbal ab, damit die Mitmachenden ihre ganze Aufmerksamkeit den jeweiligen Übungen schenken können. In unserer Übersicht Wahrnehmungsspiele finden Sie viele Ideen, die sich in der Praxis schnell vorbereiten und einfach umsetzen lassen. Die schönsten Ideen finden Sie ausgearbeitet in unserem Buch Wahrnehmungsspiele.
Was sind Ihre Erfahrungen aus Angeboten für Gehörlose und Menschen mit einer Hörminderung? Welche Tipps können Sie uns zusätzlich mit auf den Weg geben? Wir freuen uns, wenn Sie uns an Ihrer Arbeit teilhaben lassen und einen Kommentar hinterlassen.
Hallo, bei meiner stark hörgeminderter Seniorin stelle ich häufig den z. B. vorgelesen Text, Suchwörter, Lieder etc
schriftlich zur Verfügung und lege es ihr auf den Tisch. So kann mitverfolgt werden was gerade passiert und auch Wortbeitrage eingebracht werden.
Kurze Notizen während der Interaktion erleichtern die Nachverfolgung des Geschehens.
Gelegentlich bringe ich ihr extra Arbeitsblätter mit zur Einzelbetreuung, während ein Angebot stattfindet bei dem es für sie zu laut und unruhig ist.
LG Vera
Hallo, ich habe für meine gehörlosen Bewohner kleine Karteikarten selbst erstellt. Gut dazu eignen sich alle Arten von Quizfragen: Auf der Vorderseite steht z.B. die Frage: “Wann ist Winteranfang?” Auf der Rückseite steht die Antwort. Damit die Karten geschützt sind, habe ich diese einlaminiert. Die Fragen stelle ich immer zuerst den hörenden Bewohnern, und wenn diese die Antwort gegeben haben, dann bekommen die gehörlosen Bewohner die Karte, denn erfahrungsgemäß äußern sie ihre Antwort laut, und so vermeide ich das “Vorsagen” für alle anderen. Anschließend wird die Karte umgedreht, und die Antwort selbst überprüft.
LG Sabine