Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 17. Dezember – Die Suche nach der Wolle

Am nächsten Morgen ist Ede immer noch ganz beflügelt von den Erlebnissen des gestrigen Tages. Die drei Eichhörnchen sind ihm in der Kürze der Zeit ans Herz gewachsen. Sie haben Leben in sein Atelier gebracht. Auf eine wunderschöne Art und Weise. Eine angenehme Lebendigkeit.
Henry, Hans und Horst haben ihn mit in den Wald genommen. Zu ihrem Baum. Voller Stolz zeigten sie ihm den Tannenbaum, den sie schon angefangen hatten, für Weihnachten zu schmücken. Ede war überrascht, wie viel Mühe sie sich gemacht hatten. Und Stück für Stück konnte er nachvollziehen, dass den drei kleinen Wesen die Kugeln wirklich wichtig waren. Sie passten tatsächlich genau in diesen Baum.
Die drei zeigten ihm die Nüsse, die sie golden angemalt und aufgehängt hatten. Die Eicheln, die mit Wattehütchen an den Zweigen hingen, und die Sterne, die sie aus kleinen, ganz dünnen Zweigen zusammengesteckt hatten. Ganz stolz suchten sie drei Stellen für ihre Kugeln aus und befestigten sie nacheinander mit den Haken, die Ede mitgenommen hatte, an ihren vorgesehenen Plätzen. Fast andächtig blieben sie einen Moment lang stehen und schauten sich ihren Weihnachtsbaum an.



Ede erinnert sich, dass er über die Besonderheit, die die drei ihren Kugeln und dem Baum zuschrieben, tief berührt war. Und daran, dass er Henry das Lied “Vom Himmel hoch, da komm’ ich her” hat summen hören. Was dieser allerdings hinterher vehement bestritten hat.
Lächelnd sitzt er nun heute in seiner Glasbläserei und erinnert sich dieser Augenblicke, während er noch neue Kugeln für den Christkindlmarkt bläst. Es geht ihm heute alles so viel leichter von der Hand. In Gedanken stellt er eine Kugel nach der anderen zum Abkühlen in den Ständer.
Er bemerkt gar nicht, wie Erna in sein Atelier gelaufen kommt. Hektisch läuft sie von einer Ecke in die andere, guckt mal hier und mal dort und dann doch wieder woanders. Als Ede ihre Flügel wahrnimmt, die an ihm vorbeihuschen, dreht er sich verdutzt um.

„Was machst denn du hier, liebe Erna? Wir haben uns ja lange nicht gesehen!“ Erna umarmt ihn kurz und drückt ihn an sich. Dann sucht sie weiter. „Ede, meine Wolle ist weg. Du glaubst es nicht. Ich habe gestern Abend noch damit gestrickt. Und jetzt wollte ich weitermachen, da war sie nicht mehr da. Wie vom Erdboden verschluckt!“ Erna ist ganz außer Atem.
Ede steht auf. „Du bist ja ganz aufgeregt, Erna. Setz dich doch erst einmal.“ Er macht eine kurze Pause und sieht sich um. „Hm, ich habe hier aber eigentlich nichts, was fusselig ist oder staubt. Wie kommst du denn darauf, dass ich die Wolle habe? Ich hätte dich doch auch gefragt und sie nicht einfach genommen …?“
Erna setzt sich und atmet tief durch. Sie fasst sich mit zwei Fingern an die Stirn und seufzt. “Ja, da hast du recht. Ich wollte einfach sichergehen und auch hier gucken. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt …“ Erna seufzt erneut. „Ich wollte noch einiges für morgen zu Ende stricken. Da sind noch Socken, Mützen und Schals drin, die ich noch fertig machen möchte. Und die ja auch verteilt werden sollen.“
Ede nickt verständnisvoll und murmelt: „Ja, das wäre schade.“ Er überlegt. „Wo hast du den Korb denn gestern Abend hingestellt?“
„Na ich habe ihn direkt neben dem Bett stehen gehabt und auch dort stehen gelassen, als ich aufgehört habe.“ Auf einmal zuckt Erna, als sei ein Blitz durch sie gefahren. Mit weit geöffneten Augen sieht sie Ede an. „Ja natürlich!“, fährt es aus ihr heraus. „Mein Fuß!“

Ede sieht sie fragend an. „Mein Fuß!“, wiederholt sie, „Ich habe mich gestern am Fuß verletzt. Bin umgeknickt. Als ich die Kartoffeln aus dem Keller geholt habe. Vor dem Essen. Da habe ich meinen Fuß dann hochgelegt und im Bett gestrickt.“ Sie atmet aufgeregt. Ihre Stimme klingt aber schon erleichtert. „Das habe ich total vergessen. Da habe ich heute Morgen gar nicht mehr gesucht. In jedem anderen Zimmer. Und in jedem Zimmer und in jedem Raum im ganzen Dorf. Nur da natürlich nicht.“ Sie sieht Ede beschämt an.
Ede guckt sie mitleidig an: „Da hattest du auch bestimmt viele Sorgen um deinen Fuß. Das kann schon manchmal ziemlich durcheinanderbringen. Wie geht es deinem Fuß denn jetzt?“
Erna sieht traurig aus. Es dauert einen Moment, bis sie was sagt. Dann kommt ein leises und zögerliches „Es geht schon besser.“ Und nach einer weiteren Pause: „Es tut mir leid, Ede. Ich wollte hier keine Unruhe reinbringen.“

Ede geht ein Stück auf sie zu und legt seine Hand auf ihre Schulter. „Mach dir keine Sorgen Erna. Es ist doch nichts passiert. Die Hauptsache ist doch, dass wir die Wolle und deine kleinen Kunstwerke gefunden haben und dass es deinem Fuß besser geht. Ich freue mich über deinen Besuch, egal, aus welchen Beweggründen du vorbeikommst.“ Er zwinkert ihr liebevoll zu. „Komm. Wir sehen mal nach, ob die Wolle wirklich neben deinem Bett steht. Und dann kann ich mir auch noch mal deinen Fuß angucken. Ein bisschen humpeln tust du ja doch noch. Ich habe da eine neue Salbe gemischt, die würde ich dir gerne geben.“
Einen kurzen Moment zögert Erna noch. Dann lächelt sie dankbar und hängt sich in Edes Arm ein. Gemeinsam gehen sie in ihr Haus. Und siehe da, der Korb steht genau an der Stelle, an der Erna es beschrieben hat. Erleichtert lässt sie sich auf den Sessel neben ihrem Bett fallen. Ede sieht sich ihren Fuß an. „Ich werde deinen Fuß einmal mit der Salbe einschmieren. Und dann leg ihn mal noch ein paar Stunden hoch. Wenn du noch was zu Ende stricken musst, kannst du das ja auch hier machen. Ich bringe dir einen Hocker, darauf kannst du deinen Fuß ablegen. Oder was meinst du?“ Er macht eine kurze Pause. „Die fertig gestrickten Sachen hole ich morgen früh ab. Dann werden sie auf jeden Fall am Stand sein und du kannst dich mit deinem Fuß in Ruhe fertigmachen.“
Erna lächelt ihn dankbar an. Mit so viel Fürsorge hat sie nicht gerechnet. „Danke“, flüstert sie. Und nimmt erleichtert ihre Stricknadeln in die Hand …

 

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Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 1. Dezember – Die Vorbereitungen beginnen

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 2. Dezember – In der Backstube

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 3. Dezember – Das Wunder der Musik

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 4. Dezember – Zweiter Advent

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 5. Dezember – Holzsuche im Wald

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 6. Dezember – Der Nikolaus kommt zum Frühstück

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 7. Dezember – Die verschwundene Lichterkette

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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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