Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 16. Dezember – Kugeln aus Glas

Adventsmusik tönt aus einem kleinen Lautsprecher. Er ist zwar klein, aber trotzdem noch zu groß für den Raum, in dem Ede sitzt. Der Engel sitzt zufrieden an einem Tisch und bemalt in aller Seelenruhe Glaskugeln. Das Wort “Engelsgeduld” bekommt hier eine wahrhaft direkte Bedeutung. Überall glänzt und glitzert es. In Rot, Lila, Blau, Grün, Gold und Silber …
Es herrscht eine ganz angenehme Atmosphäre. Zauberhaft weihnachtlich könnte man es vielleicht ausdrücken.



Ja, es ist wirklich verzaubert! In der Edes Glasbläserei gibt es mehrere Arbeitsbereiche. Hier ist alles picobello in Ordnung. Jedes Teil steht oder liegt an dem für ihn vorgesehenen Platz. Es liegt kein Staubkorn herum, damit auch ja keins in die Glaskugel an sich oder auch in die Farbe gelangt.
Emil sitzt an seinem Tisch und bemalt gerade eine dunkelrote Kugel mit weißer Farbe. Ein feines Wellenmuster verziert die Kugel in drei Reihen. Eine Wellenreihe oben, eine in der Mitte und eine unten. Prüfend schaut sich Ede die Kugel von allen Seiten an. Dabei hebt sich seine linke Augenbraue ein kleines Stück. Er scheint aber zufrieden zu sein. Zum Schluss streut er noch ganz feinen Glitzer über die noch feuchte Farbe und pustet die überschüssigen Körnchen ab. Dann stellt er die Kugel auf den Trockenständer und nimmt sogleich die nächste.
Eine grüne Kugel. Wieder nimmt er den feinen Pinsel, taucht ihn in die weiße Farbe, streift ihn ab und malt ganz vorsichtig, aber gekonnt, die Silhouette eines Tannenbaums auf die eine Seite. Er dreht die Kugel und bemalt die entgegengesetzte Seite mit dem gleichen Motiv. Prüfend schaut er sich beide Seiten an. Er nickt zufrieden, nimmt mit dem kleinen Löffel ein wenig Glitzer aus dem Döschen, streut ihn über die noch feuchte Farbe und klopft den übrigen vorsichtig ab. Die grüne Kugel steckt er neben die Rote zum Trocknen.

Als er gerade die nächste Kugel nehmen möchte, geht die Tür zu seinem Atelier auf. Ein kalter Wind fährt durch den Raum. Ede schaut auf die Tür, kann aber niemanden sehen. Verwundert steht er auf. Und er fragt sich, ob er seinen Augen noch trauen kann. Sitzen da drei Eichhörnchen auf seiner Fensterbank? Und ehe er weiter überlegen kann, ob er seinen Augen wirklich trauen kann, beginnt das erste auch schon zu sprechen: „Hallo, ich bin Henry“, sagt er mit hoher, fast piepsiger Stimme. „Ich bin Hans“, fügt das zweite in der Mitte hinzu. „Und ich Horst. Angenehm!“
Edes Blicke wandern von einem zum anderen. Zögerlich grüßt er die drei und stottert: „Ich bin E-e-de“ und fragt: „Wie kann ich euch helfen?“
„Wir suchen Baumschmuck“, sagen alle drei im Chor. Ede stutzt und sieht sich kurz in seinem Atelier um. Wie gewohnt hängen und stehen dort nur Glaskugeln. „Ähm, ich habe nur Glaskugeln. Seid ihr sicher, dass ihr hier richtig seid?“

„Ja!“, entgegnet Henry bestimmt. „Wir wollen unseren Baum schmücken“, sagt Hans „und haben noch keinen Schmuck dafür”, ergänzt Horst.
„Mmh“, nickt Ede verständnisvoll. „Wisst ihr, Glas kann aber sehr schnell zerbrechen. Und ihr seid ziemlich flink unterwegs. Und ihr klettert auf Bäume.“ Die drei Eichhörnchen sehen Ede mit großen Augen ganz aufmerksam an. Dann nicken sie zustimmend. Dabei bewegen sich ihre Köpfe gleichzeitig auf und ab.
Ede stutzt. Das hätte er anders anfangen müssen. Er versucht es noch einmal. „In Ordnung. Schaut mal. Glas ist ziemlich dünn“, er hält eine noch nicht bemalte Kugel hoch. Wie hypnotisiert folgen die Augen der Eichhörnchen der Kugel. Ede geht auf sie zu und lässt sie von Nahem schauen. „Kommt ihr beim Klettern mit den Kugeln an einen Ast oder fallen sie aus Versehen hinunter, dann werden sie kaputt gehen. Das wäre schade, oder?“

Einen Augenblick lang herrscht Stille im Raum. Dann nickt erst Henry zaghaft, danach Hans und dann auch Horst.
Die drei verstehen und sehen Ede traurig an. „Aber wir haben noch keinen Baumschmuck. Und die Kugel sehen so wunderschön aus. Was machen wir denn nun?“, Henrys Stimme klingt traurig.
Ede tun die drei leid. Mit ihren gesenkten Köpfen sehen sie ganz schön zerbrechlich aus. Fast so zerbrechlich wie seine Kugeln. Er überlegt.
„Wieso machst du die eigentlich alle, wenn die sowieso zu schade zum Aufhängen sind? Geht sowas nicht stabiler?“, Henrys Stimme klingt wieder so piepsig wie vorher. Er scheint sich wirklich Gedanken darüber zu machen. Ede lächelt. Wir haben bald Christkindlmarkt. Dafür mache ich die Kugeln. Jeder, der uns besucht, darf sich eine mit nach Hause nehmen.
Die Eichhörnchen nicken verständnisvoll. „Wir also dann auch?”, fragt Horst und zieht seine rechte Augenbraue skeptisch hoch.
Ede zögert. Einen Moment länger.

Dann sagt er: „Wartet mal. Wir machen das anders. Ihr meint das ernst mit den Kugeln, oder? Sie gefallen euch wirklich?“ Die drei nicken. „Ja klar“, sagt Henry. „Na selbstverständlich“, fügt Hans hinzu. „Und wie!“, ergänzt Horst.
„Also. Ich würde euch wirklich jedem gerne eine Kugel schenken. Ich habe aber Sorge, dass sie euch unterwegs kaputt gehen und das wäre noch viel schlimmer, dass ihr euch daran verletzt. Wo steht denn euer Baum? Was haltet ihr davon, wenn ihr euch jeweils eine Kugel aussucht und ich sie euch nach Hause bringe? Ich kann sie auch in euren Baum hängen. Dann können wir sicher sein, dass sie nicht kaputt gehen und ihr euch nicht verletzt.“
Überrascht schauen die drei ihn an.
„Wirklich?“
„Das würdest du für uns tun?“
„Ehrlich jetzt?“
„Ja natürlich!“, Ede lächelt und es wird ihm mit einem Mal ganz warm ums Herz. „Seht euch nur um! Und sucht euch eine aus, die euch gefällt.“
Henry und Hans haben sofort eine Kugel gefunden. Horst hüpft nervös zwischen zweien hin und her. Weil er sich so schwer entscheiden kann. Horst kann sich überhaupt schwer entscheiden. Schlussendlich sucht er sich dann aber doch eine ganz andere aus. Glücklich hält er sie in seinen Vorderpfoten.
Ede legt die Kugeln vorsichtig in einen Korb. Er nickt den dreien aufmunternd zu. „Sollen wir losgehen?“, fragt er mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Aufgeregt hüpfen die Eichhörnchen auf und ab. Ein lautes „Ja!“ schallt durch das Engeldorf.
Immer noch lächelnd und mit einem tiefen, zufriedenen Gefühl folgt Ede den drei Eichhörnchen in den Wald …

 



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Diese Geschichten unseres Adventskalenders sind außerdem erschienen:

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 1. Dezember – Die Vorbereitungen beginnen

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 2. Dezember – In der Backstube

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 3. Dezember – Das Wunder der Musik

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 4. Dezember – Zweiter Advent

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 5. Dezember – Holzsuche im Wald

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 6. Dezember – Der Nikolaus kommt zum Frühstück

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 7. Dezember – Die verschwundene Lichterkette

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 8. Dezember – Der geschmückte Tannenbaum

Unsere Adventskalendergeschichte 2022: 9. Dezember – Zu viel Punsch

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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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