Familienurlaub. Eine Liedergeschichte zu “Jetzt kommen die lustigen Tage”

Markus starrte entsetzt aus dem Fenster. Er wusste, dass dieser Tag einmal kommen würde. Aber doch nicht so plötzlich. Julia räumte die Küche weiter auf und lächelte. Auch sie hatte den Tag kommen sehen. Und war auf die Reaktion ihres Gatten gespannt gewesen. Dass der Schock allerdings so tief sitzen würde, hatte sie nicht gedacht. Sie legte ihm beim Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter.
Ida war sechzehn geworden. Und dass sie nicht für alle Zeiten mit ihren Eltern in den Urlaub fahren würde, war ja eigentlich allen klar gewesen. Den Wunsch seiner Tochter, allein in den Urlaub fahren zu wollen, ausgesprochen zu hören, war jedoch etwas ganz anderes gewesen.
Ida war im Urlaubsfieber. Voller Vorfreude auf zwei Wochen mit ihren Freunden in einer Jugendherberge. Begeistert hatte sie erzählt, was sie schon alles geplant hätten und wie schön es sein würde, zu acht in einem Zimmer zu übernachten.
Julia hatte beobachtet, wie ihr Mann immer kleiner geworden war und wie ungläubig sein Blick wurde.
Er wandte seinen starren Blick vom Fenster ab und sah seine Frau an. „War es denn nicht immer schön mit uns in Italien? Die vielen Sommer, die wir dort verbracht haben? Ich weiß noch genau, wie wir das erste Mal dort waren und sie durchs Wohnzimmer gekrabbelt ist.“
Julia legte einen Arm um seine Schultern. „Doch, das waren schöne Urlaube, die Ida sicherlich so genossen hat wie wir. Und die ein Teil ihres Lebens waren und bleiben. Aber jetzt ist etwas Neues dran.“ Markus wollte etwas sagen, doch sie warf ihm einen Blick zu, der ihn bat, inne zu halten. „Wir können dankbar sein, dass sie die letzten Jahre überhaupt noch mit uns gefahren ist. Die meisten ihrer Freundinnen fahren schon seit ein paar Jahren nicht mehr mit ihren Eltern in den Urlaub.“
Er stand auf, nahm sich eine Dose mit Erdnüssen aus dem Küchenschrank und eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Er murmelte: „Ich muss mich an den Gedanken gewöhnen.“ Dann ging er aus der Küche. Julia sah ihm liebevoll hinterher.

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Jetzt kommen die lustigen Tage,
Schätzel, ade,
und dass ich es dir auch gleich sage,
es tut mir gar nicht weh.
Und im Sommer,
da blüht der rote, rote Mohn
und ein lustiges Blut
kommt überall davon.
Schätzel ade, Schätzel, ade!

Der Tag der Abfahrt nahte. Ida fuhr einen Tag früher als ihre Familie ab. Sie hatte sich um alles allein gekümmert – um ihre Wäsche, ums Einkaufen und Packen. Sogar ihr Zugticket hatte sie selbst besorgt. Sie hatte ihre Eltern lediglich gebeten, Sie mit dem Gepäck zum Bahnhof zu bringen. Markus wurde mit jedem Tag, den die Abreise näher rückte, nervöser. Regelmäßig fragte er nach, ob sie noch etwas brauche, ob sie dies und das eingepackt hatte oder sich Sorgen um die Fahrt, den Aufenthalt, das Essen, die lauten Gänge oder etwas anderes mache. Ida war voller Vorfreude und machte sich um gar nichts Sorgen.
Julia hatte mit der Frage gerechnet, war aber heilfroh, dass Markus sie nicht an seine Tochter direkt gestellt hatte. „Sind eigentlich Jungs mit dabei?“ Sie atmete einmal tief durch, bevor sie antwortete. Als sie „Ja, ich meine vier Jungs …“ antwortete, sah man, wie sich ihre rechte Augenbraue hob, weil sie nicht ganz wusste, welche Reaktion ihres Mannes folgen würde. „Aber die kennst du alle. Martin, Lars, Emil und Flo fahren mit.“, schob sie eilig hinterher.
Markus legte seinen Kopf schräg und sah seine Frau an. Dann ging er wieder an den Küchenschrank, nahm eine Tafel Schokolade heraus und ging mit einem „Ich muss mich an den Gedanken gewöhnen“ aus der Küche.
Julia lächelte mitleidig hinter ihm her. „Er macht das ganz gut …“, sprach sie zu sich.

Im Sommer, da müssen wir wandern,
Schätzel, ade,
und küssest du gleich einen andern,
wenn ich es nur nicht seh‘.
Und seh ich’s im Traum,
so red’ ich mir halt ein,
ach, es ist ja nicht wahr,
es kann ja gar nicht sein.
Schätzel ade, Schätzel, ade!

Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Anders konnte man das nicht sagen. Julia legte die Füße auf die Bank vor sich. Das Wetter in Italien war traumhaft. Die Fahrt hatte gut geklappt und ihr Sohn Max spielte mit seinen Autos auf der Treppe, die zur Terrasse in den Garten führte. Es könnten entspannte Tage werden, wenn nicht … ja, wenn nicht ihr Mann sich so viele Sorgen um seine Tochter gemacht hätte.
Es war alles gut gegangen. Sie waren pünktlich am Zug gewesen, der Zug war pünktlich zum Umsteigen am richtigen Bahnhof gewesen und Ida und ihre Freunde wohlbehalten in der Jugendherberge angekommen. Ida hatte angerufen, ihren Eltern einen schönen Urlaub gewünscht und versprochen, dass sie gut auf sich aufpassen würde.
Julia hielt die Unruhe und die angespannte Stimmung zwei Tage aus. Am dritten Abend gab sie ihrem Mann eine Schale Kartoffelchips und ein Glas Rotwein und bat ihn, sich den Abend zu nehmen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es seiner Tochter gut ginge und sie sich wie versprochen melden würde, wenn etwas wäre. Beide Häuser hätten schließlich Telefone.
„Und wenn es dir morgen immer noch so schwerfällt, dann fahre ich mit Max allein nach Verona. Sonst habe ich Sorge, dass er nächstes Jahr auch nicht mehr mit uns mitfährt.“ Sie sprach bestimmt mit ihm, signalisierte ihm, dass sie seine Sorgen durchaus verstand, es aber nun an der Zeit sei, als Eltern gemeinsam damit fertig zu werden.
Markus sah seine Frau an. Sie sah, dass es ihm leidtat. Er nahm sie in den Arm und sagte: „Ja, ich muss mich jetzt daran gewöhnen …“ und ging mit den Chips und dem Glas Rotwein auf die Terrasse.

Und kehr ich dann einstmals wieder,
Schätzel, ade.
So sing ich die alten Lieder,
vorbei ist all mein Weh.
Und bist du mir gut
wie einstmals im Mai,
so bleib ich bei dir
auf ewige Treu.
Schätzel ade, Schätzel, ade!

Die Tage wurden nach und nach entspannter. Alle gewöhnten sich an den Gedanken, dass Ida langsam ihre eigenen Wege ging. Sie verständigten sich darauf, jeden zweiten Tag kurz zu telefonieren – nur, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Es war alles in Ordnung.
Nach zwei Wochen schlossen sie ihre Tochter wohlbehalten, überglücklich und hundemüde wieder in die Arme. Den nächsten Sommerurlaub würde sie gerne wieder allein machen. In den Herbstferien aber, würde sie sich freuen, zusammen mit der Familie in die Ferien zu fahren.

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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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