Ein ganz besonderes Lagerfeuer. Eine Liedergeschichte zur Walpurgisnacht

Lesen Sie diese Liedergeschichte zur Walpurgisnacht in ruhiger Atmosphäre vor.
Singen Sie an den entsprechenden Stellen die angegebene Strophe der bekannten Mailieder.

Wir wünschen Ihnen und den Senioren viel Freude!



Ein ganz besonderes Lagerfeuer. Eine Liedergeschichte zur Walpurgisnacht

Ela und Tom rannten in den Garten. Was für ein herrlicher Morgen! Die beiden freuten sich über die hellen und warmen Sonnenstrahlen! Wo es doch die letzten Tage wie aus Eimern geschüttet hatte. Ela sprang von der Terrasse auf die Wiese und erfreute sich an den Tulpen, die in den schönsten Farben blühten. Tom blieb lieber auf der Terrasse. Er beobachtete den Rasen. Wenn er genau hinschaute, konnte er sehen, wie die letzten Wassertropfen in der warmen Sonne verdunsteten und ganz unscheinbar in Richtung Himmel zogen. Tom war tief in seine Gedanken versunken. Ela indessen, tanzte in Kreisen um das Tulpenfeld herum. “Guck mal, ich tanze um das große Feuer herum. Und vertreibe die bösen Geister!”
Tom verdrehte die Augen. Aber nur ganz kurz. Denn tief im Inneren freute er sich genauso wie seine kleine Schwester auf den bevorstehenden Abend. Heute durften sie das erste Mal in der Walpurgisnacht wach bleiben und mit in den Mai tanzen. Die Feier in der Walpurgisnacht hatte im Dorf eine lange, lange Tradition. Man musste nur alt genug dafür sein, um mit zu feiern. Schließlich begrüßte man den Mai erst um Mitternacht. Und bis dahin musste man schon wach bleiben können.
Die Kinder genossen das herrliche Wetter und die warme Sonne. Sie konnten den Abend kaum erwarten…

Alles neu macht der Mai,
macht die Seele frisch und frei.
Laßt das Haus, kommt hinaus!
Windet einen Strauß!
Rings erglänzet Sonnenschein,
duftend prangen Flur und Hain:
Vogelsang, Hörnerklang
tönt den Wald entlang.
(Alles neu macht der Mai)

Irgendwann, nach unsäglich langer Zeit, war es dann endlich so weit. Ela, Tom und ihre Eltern hatten sich schick gemacht. Schließlich tanzte man nur einmal im Jahr in den Mai. Und die Walpurgisnacht war eins der wichtigsten und schönsten Feste im Dorf. Es ging endlich los. Die Kinder liefen schon vor. Hinter Bauer Brunos Feld lag ein Berg. Man hätte ihn auch einen Hügel nennen können, das hörten die Bewohner des Dorfs aber nicht so gerne. Für sie war es ein Berg. Und auf diesem Berg fanden die alljährlichen Feiern zur Walpurgisnacht statt. Ela und Tom waren in Windeseile oben. Ihre Eltern brauchten ein wenig länger bis sie es endlich geschafft hatten. Vor allem ihre Mama hatte mit den hohen Absätzen zu kämpfen. Immer wieder blieb sie hängen. Die Erde unter dem Gras war von dem Regen der letzten Tage weicher als gedacht.
Als sie oben ankamen, kamen ihnen Ela und Tom schon mit einer Bratwurst und einem Stock mit Teig für Stockbrot entgegen. Sie schauten in glückliche Kinderaugen. Ihr Papa lachte “Na, sind denn auch noch zwei Würstchen für uns da oder habt ihr in der Zeit schon alle aufgegessen?” Er strich Ela über den Kopf. Die grinste, schnappte sich ihren Bruder und machte sich in Richtung Lagerfeuer, um das Stockbrot zu backen.
Es herrschte eine fröhliche Stimmung. Alle freuten sich über das gute Wetter und waren dankbar für die nun schon lange ersehnten Sonnenstrahlen. Jetzt sollte es endlich Mai werden…

Komm, lieber Mai, und mache
Die Bäume wieder grün,
Und lass uns schau dem Bache
Ob kleinen Veilchen blüh’n!
Wie möchten wir doch so gerne
Die Frühlingsroten seh’n,
Ach, lieber Mai, wie gerne,
Durch wir sind spazieren geh’n.
(Komm lieber Mai und mache)

Die ersten Kinder fingen an zu tanzen und mitzusingen. Einige Erwachsene schunkelten zur Musik. Andere tanzten schon ausgelassen um das Feuer herum. Wieder andere tanzten etwas abseits in trauter Zweisamkeit und genossen das knisternde Feuer und das warme, dezente Licht.
Und irgendwann, ja irgendwann machten sich alle auf zum großen Lagerfeuer. Nach und nach füllte sich die Fläche rund um das flackernde Licht. Und sie fingen an zu tanzen. Und zu singen. Ela und Tom machten begeistert mit und wussten gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollten. Sie genossen die feierliche Atmosphäre. Sie spürten eine Mischung aus Dankbarkeit, Fröhlichkeit und Zuversicht unter den vielen Menschen. Tom bekam Gänsehaut. So feierlich hatte er es hier noch nie erlebt. Und so begrüßte das ganze Dorf den Mai und vertrieb gleichzeitig die bösen Geister. Wie die Tradition es seit langem vorgab, tanzten sie für Gesundheit und Wohlergehen im nächsten Jahr und hießen jeden Willkommen, der dazu kam …

Zum Reigen herbei
im fröhlichen Mai!
Mit Blüten und Zweigen
bekränzt euch zum Reigen!
Im fröhlichen Mai
zum Reigen herbei!
(Tanzlied im Mai)

Ela und Tom würden diese atemberaubende Stimmung um sie herum noch lange in Erinnerung behalten können. Einige Frauen trugen Hexenkostüme. Ein paar davon waren selbst genäht. Ela bestaunte die vielen übereinanderliegenden Stoffschichten, die farblich natürlich wunderbar zusammen passten. Sie war ganz vertieft ins Zuschauen, dass sie gar nicht bemerkte, wie sie stehen blieb. Verzaubert von dem regen Treiben und der feierlichen Atmosphäre blickte sie auf die Menge, die den neuen Monat begrüßte. Einen Monat voller Sonnenschein, Zuversicht und zahlreicher neuer Wunder in der Natur.
Tom hingegen, saß am kleinen Lagerfeuer nebenan und hielt ein Stockbrot nach dem anderen ins Feuer. Er liebte das Flackern der orangefarbenen Flammen. Das Knistern des Feuers. Die angenehme Wärme. Trotzdem er nur ein paar Meter von dem großen Feuer und dem fröhlichen Treiben entfernt saß, spürte er eine tiefe innere Ruhe. Die anderen Kindern waren dankbar für seine Geduld und tauschten Süßigkeiten gegen fertig gebackenes Stockbrot.
Nun war er tatsächlich da… der Mai…

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus
Da bleibe wer Lust hat mit Sorgen zu Haus
Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt
(Der Mai ist gekommen)

Der wunderschöne Abend wurde zu einer wunderschönen Nacht. Bis tief hinein feierte, tanzte und klönte das ganze Dorf. Die Kinder, die zwischendurch einschliefen, wurden auf die zahlreichen Strohballen gelegt, die ganz am Rand des Berges lagen. So konnten die Erwachsenen weiter feiern. Auch Ela schlief irgendwann auf dem Arm ihrer Mama ein. Sie legte ihre Tochter behutsam zu den anderen Kindern ins gemütliche Stroh. Tom, der davon überzeugt gewesen war, dass er die ganze Nacht wach bleiben würde, schlief kurz nach seiner kleinen Schwester ein. Auch er schlummerte im Stroh weiter. Und ganz gewiss träumte er von flackerndem Feuer und Teigschlangen, die um einen langen Stock gewickelt waren.
Irgendwann … nach unzähligen Runden Tanz um das Feuer, Singen und Erzählen… ging die Sonne auf. Und mit ihr der erste Tag im Mai nach der Walpurgisnacht. Voller Vorfreude und mit geöffneten Herzen begrüßte das Dorf die aufgehende Sonne. Die Vögel fingen an zu Zwitschern, das Feuer flackerte langsam dem Ende entgegen und nach und nach wurde es heller und heller…
Willkommen, lieber Mai!

Grüß Gott, du schöner Maien,
da bist du wiedrum hier.
Tust jung und alt erfreuen,
mit deiner Blumen Zier.
Die lieben Vöglein alle,
singen also hell,
Frau Nachtigall mit Schalle
hat die fürnehmste Stell.
(Grüß Gott du schöner Maien)

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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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