Liedergeschichte: Die Kneipe an der Ecke. Die Gedanken sind frei
Leonie übernimmt in dieser Geschichte die Kneipe ihres Vaters und schafft es, daraus ihren Lebensort zu machen. Sie steht für Stärke, Herzenswärme und das Wissen, dass Zufriedenheit nicht vom Weg abhängt, sondern davon, ihn selbst zu gehen.
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Die Kneipe an der Ecke
Leonie dreht den Schlüssel um. Sie atmet einmal tief durch und lächelt. Wie an jedem Sonntagmorgen. Die Füße und der Rücken schmerzen. Wie an jedem Sonntagmorgen. Nach einer durchgearbeiteten Nacht. Doch sie ist glücklich. Sie geht zum Fenster und sieht den letzten Gästen nach. Die Sonne geht bereits langsam auf. Der Himmel färbt sich in einem leichten Orangeton. Leonie bleibt noch ein paar Minuten stehen. Dann geht sie zum Tresen, nimmt das Spültuch und wischt ihn ab. Wie oft sie diese Bewegungen in ihrem Leben jetzt wohl schon gemacht hat.
Sie sieht sich um. Das ist ihr Lebenswerk. Ihr Alltag. Ihr Zufluchtsort. Ihre Existenz. Ihre Arbeitsstelle und gleichzeitig ihr Zuhause. Ein Ort, der Kraft gibt und gleichzeitig Kraft benötigt. Die beste Entscheidung ihres Lebens. Die Kneipe an der Ecke.
Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten?
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.
Dabei war am Anfang eigentlich nichts von der Leichtigkeit zu spüren, die sie heute empfinden darf. Als Leonie damals vor der Entscheidung stand, ob sie die Kneipe ihres Vaters übernehmen möchte, waren viele Hürden zu überwinden. Ihr Vater war der Einzige, der an sie geglaubt hat und voller Hoffnung war, dass seine Tochter diesen Schritt wagen würde. Leonie war gerade erst zwanzig geworden. Sie war in der Kneipe aufgewachsen. Die Kneipe war Teil ihres Zuhauses. Sie kannte die Abläufe. Sie wusste, welche Bestellungen getätigt werden mussten. Und auch wo. Sie kannte die Menschen, die ein- und ausgingen. Sie hatte aber eigentlich eine ganz andere Ausbildung gemacht. Und sie war eine Frau. Und eben noch sehr jung. Von Buchführung hatte sie auch keine Ahnung. Zwar hatte sie ihrem Vater oft dabei über die Schulter geschaut, aber das war auch alles.
Leonie ist mittlerweile beim Abwischen der Tische angekommen. Sie hält einen Augenblick inne und guckt auf das Foto, auf dem ihr Vater und sie abgebildet sind. „Meine Güte, das ist jetzt auch schon vierzig Jahre her“, sagt sie zu sich selbst. Es war damals eine schwierige Entscheidung gewesen, aber die richtige.
Ich denke was ich will
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
Kann niemand verwehren.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.
Leonie stellt den Eimer mit dem Wischwasser hinter den Tresen und macht sich daran, die Stühle hochzustellen. Sie stellt beim Vorbeigehen die Spülmaschine an. „Heute hab ich genug mit der Hand gespült. Dafür ist das Ding ja nun mal da…“
Sie hat damals noch viel von ihrem Vater gelernt. Auch, wie sie gegen den Gegenwind von außen ankommen konnte. Der legte sich glücklicherweise schnell, als die Menschen sahen, dass alles so weiterlief wie bisher und Leonie in ihrer neuen Rolle aufblühte. Viel mehr noch, sie gab der Kneipe viel frischen Wind und ihren ganz eigenen Charakter. Sie trocknete Tränen, vermittelte in Streitereien, tröstete bei Liebeskummer, organisierte Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern, hielt Liebespaaren die Tische frei, an denen sie etwas ungestörter waren, beriet in Erziehungsfragen, erklärte Kindern die für sie als ungerecht empfundenen Entscheidungen ihrer Eltern und hatte ganz oft auch nur ein offenes Ohr, das zuhörte.
Die Menschen mochten sie. Jeder auf seine ganz eigene Art und Weise. Und Leonie mochte die Menschen. Sie liebte ihre Arbeit. Und liebt sie bis heute. Auch in den Momenten, in denen sie müde ist und die Knochen schmerzen.
Sie knotet den Müllbeutel zu, bringt ihn durch die Hintertür in den Hof und wirft ihn in die große Mülltonne. „Geschafft für heute!“ Leonie sieht sich um. Es ist friedlich draußen. Sie atmet die frische Morgenluft ein, hält einen Moment inne und geht dann wieder rein. Sie verschließt die Tür, löscht das Licht im Gästeraum und geht langsam die Treppe rauf nach oben in ihre Wohnung.
Und sperrt man mich ein
Im finsteren Kerker,
Das alles sind rein
Vergebliche Werke;
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei.
Leonie setzt sich in ihren Lieblingssessel und nippt an einem Glas Rotwein, das sie sich in der Küche eingeschenkt hat. Sie lächelt. Es geht ihr gut. Und es ging ihr immer gut. Auch wenn auf der ein oder anderen Wegstrecke mal Stolpersteine lagen. Auch oder gerade weil sie nicht den „typischen Weg“ gegangen ist, der von ihr erwartet wurde. Sie ist ihrem Vater sehr dankbar, dass er mit ihr für ihren einzigartigen Weg gekämpft hat und sie seine Unterstützung hatte. Das meiste, was sie war und konnte, hatte sie von ihm gelernt. Und da ging es nicht hauptsächlich um Zahlen oder einen Geschäftssinn oder Bilanzen, die auf und ab gingen. Sondern um Werte, die Haltung ihren Mitmenschen gegenüber und die Offenheit, das Leben so anzunehmen, wie es ihr begegnet ist.
Leonie ist glücklich. Trotz oder auch gerade wegen der Anstrengungen, die das Leben mit sich brachte.
Nun will ich auf immer
Den Sorgen entsagen,
Und will mich auch nimmer
Mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen
Und denken dabei:
Die Gedanken sind frei.
Die Kneipe an der Ecke war und ist ein fester Bestandteil im Dorfleben. Sie ist Zufluchtsort, Rückzugsort und ein Ort zum Feiern und Spaß haben. Ein Ort, an dem man fröhlich und traurig sein kann und so, wie man kam, angenommen war. Irgendwer war immer mit einem offenen Ohr da. Nicht zuletzt Leonie. Leonie kennen alle. Und alle mögen sie auf eine ganz eigene Art und Weise. Die neuen Generationen kennen die Geschichten von den Anfängen ihres Wirkens gar nicht mehr. Manchmal fragen sie und bekommen erzählt, wie alles begann. Und die, die damals hautnah dabei waren, bewundern Leonie am meisten. Auch viele von denen, die damals nicht daran geglaubt haben, dass sie es schaffen würde.
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