Chiron Care. Betreuungsdienst mit Leib und Seele
Im Gespräch mit Karin Biela über die Begleitung von Menschen mit Demenz
Hallo Frau Biela, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Ich bin 58 Jahre alt, verheiratet und lebe in München. Als Inhaberin von Chiron Care, Autorin und Dozentin bin ich vielseitig beschäftigt. Seit einigen Jahren führe ich Fort- und Weiterbildungen durch und unterrichte beim DEB für die Qualifizierungsmaßnahme nach § 53 c. Ein weiterer Schwerpunkt ist mein neu gegründeter kleiner Verlag, dem ich mich zukünftig mehr widmen möchte. Nach einer schweren Rücken-OP muss ich mich leider aus der aktiven Betreuung zurückziehen! Meine Hobbys sind unser Hund, Schrebergarten, Reisen (Island), Fotografieren und die Beschäftigung mit spirituellen Themen.
Mit Ihrem Betreuungsdienst begleiten Sie Menschen, die an einer Erkrankung leiden und in ihrem Alltag Hilfe benötigen, darunter auch einige Menschen mit Demenz.
Wie sieht Ihre Begleitung von demenziell erkrankten Menschen im häuslichen Bereich aus? Wie können Sie die Betroffenen unterstützen?
Wir haben uns seit der Gründung von CHIRON CARE (Januar 2011) bewusst auf die Betreuung von demenziell erkrankten Senioren spezialisiert. Ziel war und ist es, die Selbständigkeit in der häuslichen Umgebung so lange wie möglich zu erhalten. Uns war von Anfang an wichtig, unser ganzes Augenmerk auf den zu betreuenden Menschen zu konzentrieren und ihn in seiner Individualität nicht nur zu respektieren, sondern ihn bewusst zu fördern. Das beginnt mit dem Aufbau von Vertrauen und der geschulten Wahrnehmung des Gegenübers. Eine qualifizierte Betreuung erfolgt unter Einbeziehung der Vorlieben, der biografischen Bezüge, der Lebensumstände und der vorhandenen Ressourcen. So kann eingeschätzt werden, welche Maßnahmen für die zu betreuende Person angebracht und sinnvoll wären. Denn so einmalig wie jeder Mensch ist, so unterschiedlich gestalten sich auch die Beschäftigungen und Aktivitäten, die wir durchführen.
Einige Beispiele aus der Praxis. Eine ehemalige Tänzerin, die sich aufgrund der Demenz immer mehr zurückzog und immer weniger rausging, animierte ich behutsam zu gemeinsamen Nachmittags-Besuchen eines Tanzcafés. Mit der Zeit hatte sie wieder mehr Freude am Leben. Das war deutlich zu spüren.
Einen kunstinteressierten Herrn, der (trotz Demenz) vorhatte, ein Buchprojekt zu starten, unterstützte ich bei diesem Vorhaben. Ich sortierte mit ihm die Zeichnungen, die er detailliert anfertigte, fuhr mit ihm in die Stadt, ließ ihn dort im Copyshop die Zeichnungen kopieren, (Förderung der Selbständigkeit u. Erfolgsvermittlung) und nahm ihn „zufällig“ vor dem Copyshop wieder in Empfang. Die örtliche Orientierung war stark eingeschränkt. Damit er eines der schönsten Kirchen im Innenraum zeichnen konnte, organisierte ich beim Pfarramt dieses Vorhaben, indem die Kirche eigens dafür aufgeschlossen wurde. Noch heute schwärmt er von den Kunstschätzen dieser Kirche.
Einer naturverbundenen Dame, die früher selber einen großen Garten hatte und diesen schmerzlich vermisste, bot ich (m)eine „Garten-Therapie“ an. Ich bat sie um Hilfe beim Pflanzen oder Unkraut zupfen. Beim Kräuter schneiden, Tomaten ernten usw. So blühte sie förmlich auf. Vor allem hatte sie das Gefühl, gebraucht zu werden.
Eine Dame, die ich in einer Senioreneinrichtung betreute, galt dort als besonders schwierig. Sicher lag es mitunter an unzureichender Kommunikation (Validation). Denn wann immer ich mit ihr zu tun hatte, war sie für meinen Geschmack alles andere als schwierig. Da sie sich in dem Haus nicht wohlfühlte, holte ich sie regelmäßig zu Ausflügen ab. Sie liebte Wald und Tiere. Also nahm ich meinen Hund mit und wir unternahmen Streifzüge durch Feld und Flur. Sie umarmte Bäume, roch an Wiesenblumen und schien während dieser Stunden glücklich. Vor allem empfahl ich den Angehörigen langfristig einen Umzug in ein anderes Heim. (Sie lebt heute bei ihrer Tochter in Berlin).
Anhand der Beispiele wird deutlich, es gibt NICHT die Standardbetreuung. Wir absolvieren stundenweise Einsätze und 24h Betreuungen. Das Spektrum umfasst Grundpflege, Essenseingabe, basale Stimulation, Mobilisation, Gedächtnistraining, häusliche Unterstützung, Einkäufe u. Besorgungen, gemeinsames Kochen u. Essen, Begleitungen zu Ärzten usw. Auch bei notwendigen Krankenhausaufenthalten oder danach, wieder im eigenen Zuhause, kümmern wir uns um das Wohl der Menschen.
Zu einer adäquaten Betreuung gehört auch die Sterbebegleitung und Trauerarbeit. Als ausgebildete Hospizbegleiterin ist es mir ein Bedürfnis, Menschen auf ihrem letzten Gang zu begleiten.
Da Sie viele Ihrer Klienten zuhause begleiten, sind Sie auch im engen Kontakt mit den Angehörigen. Eine Demenzerkrankung betrifft in den meisten Fällen die ganze Familie. Mit welchen Sorgen und Anliegen treten die Angehörigen an Sie heran? Und wie können Sie sie unterstützen?
Ja, für die Angehörigen ist eine Demenzdiagnose immer ein grundlegender Einschnitt. Berechtigte Ängste und Sorgen entstehen. Da kann ein einfühlsames Gespräch schon wirken, eine Beratung über Hilfsmittel nutzen, oder eine Vernetzung (Hausarzt, Alzheimer Gesellschaften, Krankenkasse, Pflegedienst) empfohlen werden, damit eine lückenlose Versorgung bzw. Information gegeben ist. Pflegenden Angehörigen raten wir unbedingt, Entlastungsangebote anzunehmen, damit sie sich notwendige Auszeiten verschaffen können.
Den Angehörigen ist in erster Linie wichtig, ihre Lieben in guten Händen zu wissen. Auch hier ist Vertrauen die wichtigste Voraussetzung. Die erste Herausforderung ist allerdings, dass der Betroffene die Hilfestellung auch annimmt, die beispielsweise die Angehörigen durch unseren Dienst wohlwollend beauftragt haben. Denn in den meisten Fällen ist das am Anfang, aus Sicht der Betroffenen, nicht nötig. Hier ist es enorm wichtig, mit den Angehörigen zusammen zu agieren, um die Hilfestellung so zu vermitteln, dass der Betroffene sich trotzdem nicht „bedürftig“ fühlt. Wenn uns was im Umfeld des Klienten auffällt, geben wir den Angehörigen Tipps zur Optimierung, zur Orientierung oder zur Beseitigung von möglichen Gefahren. Beispiel: Herdsicherung, Teppiche als Stolperfalle usw.
Zudem sind wir während der Betreuungsaufträge und oft darüber hinaus, als Ansprechpartner jederzeit verfügbar, stehen in ständigem Kontakt (auch bei Abwesenheit der Angehörigen) und dokumentieren für sie in verständlicher Sprache.
Das gibt den Angehörigen Sicherheit und sie wissen, ihre Belange werden gehört.
Erst vor kurzer Zeit habe ich lange und ausgiebige Gespräche mit der Tochter einer zu betreuenden Dame geführt, weil eine Heimunterbringung unumgänglich wurde. Ich habe ihr es sogar empfohlen, weil ich spürte, dass sie große Schuldgefühle hat. Sie war froh, dass ich ihr die Notwendigkeit darstellte und konnte dann erleichtert den wichtigen Schritt einleiten. Bei der Suche des Heimes habe ich ihr ebenfalls geholfen und beim Umzug / Auszug der Mutter ebenso.
Was ist Ihren Erfahrungen nach in der Begleitung und Aktivierung von Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, besonders wichtig?
Das formuliere ich mal kurz und knapp: Ich sollte bereit sein, mich auf den an Demenz erkrankten Menschen mit Herz und Seele einzustellen und in seine Welt einzutauchen. Empathie, Respekt, Zuverlässigkeit, Fachwissen, Kreativität setze ich voraus. Humor sowie Flexibilität können nicht schaden.
Sie haben mittlerweile zwei Bücher für Senioren veröffentlicht:
„Bohnerwachs und Kaffeeduft“ ist im Telescope Verlag erschienen und das Buch „Essen ist fertig!“ im SingLiesel Verlag.
Was hat Sie dazu bewegt, diese Bücher zu schreiben?
Bohnerwachs und Kaffeeduft erschien beim Telescope Verlag und CHIRON CARE war der Herausgeber. Das Demenz Foto- Lese- Arbeitsbuch liegt mir bis heute sehr am Herzen. Das Konzept dahinter ist folgendes: Jeweils die Vorlesegeschichte mit passenden Fotos, die die Geschichten länger wachhalten und die bewusst als visuelle Stimulans eingesetzt werden sollen. Zu jeder Vorlesegeschichte gibt es weiterführende Informationen, so dass ich das Thema vertiefen und ins Gespräch kommen kann. Zudem findet man pro Geschichte einen Vorschlag für die Aktivierung und Betreuung, ohne dass lange Vorbereitungszeiten notwendig sind. Ein Tipp ergänzt den Inhalt pro Kapitel. Ich habe übrigens absichtlich auch Geschichten verfasst, die mal Gelegenheit zum Diskutieren geben, denn ich bin sicher, auch Demenzkranke haben Freude daran.
Das zweite Senioren-Buch entstand, indem der SingLiesel Verlag auf mich zukam und mir die Möglichkeit bot, bei der Serie mitzumachen. Das Thema und die Rahmenbedingungen sowie der Titel waren vorgegeben und so schrieb ich 50 amüsante Plauder-Geschichten rund um das Thema „Essen ist fertig!“, die 2017 erschienen.
Wo sehen Sie in der häuslichen Begleitung von demenziell erkrankten Menschen die Vorteile gegenüber der stationären Pflege? Und in welchen Fällen ist eine stationäre Pflege und Betreuung vielleicht doch eher initiiert (auch wenn man den Angehörigen natürlich so lange wie möglich in seinem vertrauten Umfeld leben lassen möchte)?
Das kommt immer auf den Einzelfall und die individuellen Bedürfnisse an. Vor allem spielen die Wohnsituation und die Rahmenbedingungen eine Rolle. Hier meine ich durchaus auch die finanzielle Seite, da wir ein privater Betreuungsdienst sind, der nicht über die Krankenkasse abgerechnet wird. Dennoch kam es vor, dass wir sogar für 24h Dienste beauftragt wurden und zusammen mit einem Pflegedienst eine bettlägerige Dame rund um die Uhr versorgt und betreut haben. Wenn ein separates Zimmer für die Pflegekraft vorhanden ist, kann eine 24h Pflege eine Lösung sein. Da dieser Bereich überwiegend von Kräften aus dem Ausland (Polen) abgedeckt wird, weisen wir darauf hin, dass sie genügend Sprachkenntnisse haben sollten und es kam sogar vor, dass wir diese vorher und während der Betreuungen „schulten“, damit die Betreuung so stattfand, wie die Angehörigen sich das vorstellten. Wir unterstützen dann ebenso die Angehörigen bei der Auswahl und bei Bedarf auch während der Einsätze. Wenn eine 24h Lösung nicht geht oder gewollt ist und der Verbleib im eigenen Zuhause, aufgrund der fortgeschrittenen Demenz, trotzt stundenweiser Betreuung nicht mehr möglich ist, ist eine Heimunterbringung nicht mehr abzuwenden. Auch diesen Schritt gehen wir dann gemeinsam mit den Angehörigen, indem wir beispielsweise Besichtigungstermine in einer Einrichtung zusammen durchführen, bei der Auswahl beraten, beim Schriftverkehr unterstützen und schlussendlich beim Umzug helfen. Vor allem ist eine erhöhte Betreuung beim Einzug wichtig, damit sich die zu betreuende Person in ihre neue Umgebung besser eingewöhnen kann. Grundsätzlich befürworten wir „ambulant vor stationär“! Die meisten Menschen hängen an ihrem Zuhause und empfinden dies als ihre sichere und gewohnte Umgebung. Da wir in der Regel alleinlebende oder im Heim lebende Senioren betreuen, kann ich nicht für die Gruppe der zuhause von ihren Angehörigen gepflegten Senioren sprechen. Hier wäre wichtig, dass sich die pflegenden Angehörigen rechtzeitig Hilfe und Unterstützung holen und diese annehmen. Wenn eine Heimunterbringung nicht zu vermeiden ist, sollten die Angehörigen mit Rat und Tat unterstützt werden, so dass bei ihnen kein „schlechtes Gewissen“ entsteht. Es ist viel mutiger den notwendigen Schritt in eine Heimunterbringung vorzunehmen, als durch dauerhafte Überforderung am Ende keinem gerecht zu werden.
Sie begleiten schon einige Jahre kranke und auch sterbende Menschen. Würden Sie uns vielleicht eine kleine Geschichte erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?
Wir betreuten im Wechsel eine Dame, die wir von früheren Einsätzen kannten. Sie war bettlägerig und hochdement. Als wir sie vorfanden, lag sie nur noch apathisch im Bett, sprach nicht und zeigte keinerlei Interesse. Wir wussten, dass sie „gutes Essen“ liebte und kannten ihre Vorlieben. Im Schrank fanden wir jedoch vom Vorgänger Dienst „Babynahrung“ im Glas vor. Also kochten wir ihr unverzüglich frisches Essen und gaben es ihr ein. Sie aß teilweise nur 2-3 Löffel pro Mahlzeit, jedoch war uns diese Stimulation wichtig. Durch ihren veränderten Tag- Nacht-Rhythmus war sie meistens nachts wach und schlief viel am Tag. Wir passten unsere Betreuung dahingehend an und wir aktivierten sie somit nachts. Sie fing wieder an zu reden und erzählte Dinge, die zuvor keiner aus ihrem Leben kannte. Ich brachte durch Rücksprache mit einer Verwandten in Erfahrung, dass alles stimmte. Wir bauten sie Tag für Tag auf und nach mehreren Wochen Einsatz, verbesserte sich ihr Allgemeinzustand nachweislich. Da der Einsatz über Weihnachten und Silvester lief, war es möglich, sie sogar am Heiligen Abend zu mobilisieren. Wir setzten sie, vor den zuvor besorgten kleinen und geschmückten Weihnachtsbaum in ihren Fernsehsessel ins Wohnzimmer. Sie hatte monatelang das Schlafzimmer nicht verlassen und wir sangen dort gemeinsam Weihnachtslieder und sie sang mit und äußerte gar den Wunsch, dass sie einen Likör möge. Ich habe noch heute ihren Satz in Erinnerung: „Ach Engelchen, Dich hat der Himmel geschickt, ich danke Dir“. Das ist die größte und schönste Bestätigung für unsere Arbeit.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Dass das Thema Demenz viel selbstverständlicher in unserem Alltag verankert ist. Beispiel: Ich ging mit einer Dame zwecks Aufrechterhaltung der Selbständigkeit und Aktivierung einkaufen. An der Kasse dauerte es sehr viel länger und die Kassiererin wurde ungehalten. Ich habe daraufhin den Geschäftsführer angesprochen und um entsprechende Schulung seines Personals gebeten. Ich habe daraufhin die Lebensmittelkette angeschrieben, bis heute keine Rückantwort erhalten. Hier wünsche ich mir mehr Aufklärung, so dass gerade im öffentlichen Raum wie Bahn, Bussen, in Geschäften usw. ein würdevoller und adäquater Umgang mit Demenz-Patienten Standard ist. Auch sollten Angehörige Anspruch auf kostenlose Schulungen wie Validation, Kommunikation und herausforderndes Verhalten, beispielsweise von der Krankenkasse bekommen. Die Schulungen könnten dann direkt vor Ort durchgeführt werden.
Herzlichen Dank, Frau Biela!!!
Zur Internetseite von Chiron Care: www.chironcare.com
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