Die Demenz kann uns mal!
Im Gespräch mit Graziano Zampolin über „Klang und Leben“
Foto: Frank Wiechens
Hallo Herr Zampolin, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Sie haben das Musikprojekt „Klang und Leben“ für Menschen mit Demenz sprichwörtlich ins Leben gerufen. Erzählen Sie unseren Lesern etwas über das Projekt? Und wie sind Sie eigentlich auf diese wundervolle Idee gekommen?
Als Geschäftsführer und Dozent eines Weiterbildungsinstitutes für Krankenpflegeberufe habe ich bis 2013 Gerontopsychiatriefachkräfte weitergebildet. In diesem Zusammenhang entstand die Fragestellung, wie sich Musik aus der Lebensgeschichte dementer Menschen auf ihr Wohlbefinden auswirkt.
Ich habe dann zusammen mit Musikern aus Hannover einen gemeinnützigen Verein gegründet. Seit 2013 besuchen wir Pflegeeinrichtungen in ganz Deutschland und haben mit tausenden dementiell veränderten Menschen musiziert. Das Ergebnis ist überwältigend. Wir hören immer wieder zwei Sätze von den Betroffenen:
„Kommen Sie bald wieder“ und „So etwas Schönes hat es in unserem Haus noch nicht gegeben, vielen, vielen Dank”.
Welchen Einfluss kann Musik auf Menschen, die an Demenz erkrankt sind, haben? Warum finden wir oft nur durch Musik Zugang zu den Betroffenen, wenn alle sonst möglichen Versuche der Kontaktaufnahme versagt haben?
Der Einfluss der Musik auf die Betroffenen ist durchweg positiv. Ein Mensch verinnerlicht die Musik, die er zwischen seinem 10 und 25 Lebensjahr hört. Sie ist auch bei fortschreitender Demenz sehr lange abgespeichert.
Die Musiker spielen auf den Veranstaltungen diese vertraute Musik und schaffen damit eine vertraute Umgebung. Plötzlich befinden sich die Zuhörer in der Geborgenheit ihrer Vergangenheit, Auf dieser Reise in die Vergangenheit entsteht ein vertrautes geistiges Bild und die Musiker werden Teil dieser Vertrautheit.
Gibt es etwas, dass Sie uns mitgeben können, wenn wir uns auf den Weg machen, Menschen mit Demenz mit Musik zu begegnen?
Musiker sollten dazu in der Lage sein, ihre Aufmerksamkeit beim Musizieren auf die Betroffenen zu lenken und nicht auf ihr Instrument. Nicht der perfekte musikalische Vortrag ist entscheidend, sondern der Kontakt zum Menschen. Das gemeinsame Singen und das gemeinsame Lachen stehen im Vordergrund. Man kann nichts falsch machen, sondern nur alles richtig. Die Begegnung mit den Menschen muss ehrlich sein, das ist das Allerwichtigste und Sie müssen mit Nähe und Berührung umgehen können.
Sie haben ein Buch über Ihre Begegnungen und den Einfluss von Musik auf demenziell veränderte Menschen geschrieben – mit einem außergewöhnlichen Titel: „Die Demenz kann uns mal“*. Was hat Sie bewegt, dieses Buch zu schreiben?
Auf die Idee zu kommen, war einfach. Ich glaube von mir behaupten zu können, dass ich ein sehr guter Beobachter bin und häufig die richtigen Schlüsse aus diesen Beobachtungen ziehen. Im alltäglichen Leben können Menschen sehr schwer mit Wahrheiten umgehen. Anders ist es bei der Demenz, hier ist die Wahrheit das Kernstück der therapeutischen aber auch der musikalischen Arbeit.
Mit meinem Buch möchte ich niemanden belehren, keiner hat die Weisheit mit Löffeln gegessen. Es wird nur in schönen ehrlichen Worten beschrieben, wie meine Wahrnehmung während unserer Arbeit ist.
Ich habe „Die Demenz kann uns mal“ mit großem Interesse und viel Freude gelesen. Einige Teile waren ziemlich bewegend, andere wunderschön und wieder andere auch spannend. Und ich denke, dass das Buch alle die es gelesen haben zum Nachdenken und vielleicht auch Umdenken anregen wird.
Woher kommt die Leidenschaft für das, was Sie machen, und mit der Sie viele anstecken?
Ich liebe das Leben und die Menschen, denen wir begegnen. Schaue ich einer 90jährigen Dame beim Tanzen tief in die Augen, dann sehe ich den Menschen in all seinen Lebensphasen, vom Kleinkind über den jungen Erwachsenen bis ins hohe Alter. Ich tanze mit Frauen, die nicht auf ihre Krankheit reduziert werden können, sondern die häufig ein sehr bewegtes Leben hinter sich haben und vor deren Person ich mich tief verneige, weil ich auch weiß, was diese Menschen alles mitgemacht haben.
Sie schreiben in Ihrem Buch über viele Begegnungen und besondere Augenblicke mit Menschen mit Demenz, die Sie bewegt haben. Können Sie uns eine Geschichte erzählen, die Sie besonders bewegt hat?
Es gibt viele Geschichten. Am meisten berührt hat mich die Begegnung mit einer älteren Dame, die glaubte, in mir den Sandkastenfreund Ihrer Kindheit wiedergefunden zu haben. Ich ließ sie in diesem Glauben, hätte ihr das niemals ausreden können. Für sie war ich einfach ihr Jugendfreund und je mehr sie erzählte, desto mehr hatte ich das Gefühl, ein Teil ihrer Lebensgeschichte zu sein. Für den Moment war ich es ja auch und ich war genauso glücklich wie die Dame, glücklich darüber, dass es ihr so gut ging.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir den dementen Menschen ihr Leben zurückgeben, dass sie durch die Demenz häufig vergessen haben. Die Musik macht es möglich und Musiktherapie sollte als fester Bestandteil in jede Pflegeeinrichtung implementiert werden.
Herzlichen Dank, Herr Zampolin!!!
Zur Internetseite: klangundleben
Die Buchvorstellung auf mal-alt-werden.de zu “Die Demenz kann uns mal” finden Sie hier