Senioren blühen auf. Gartentherapie in der Seniorenarbeit
Ein Interview mit Susanne Büssenschütt, Firma Garten und Therapie
Momente in der Natur können einen positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere psychische und körperliche Gesundheit haben. Besonders in der Seniorenarbeit beobachten wir tagtäglich, wie gut die Bewegung in der Natur und der Kontakt mit Blumen und anderen Pflanzen den Betroffenen tut.
Für dieses Interview haben wir uns mit Susanne Büssenschütt getroffen. Liebe Frau Büssenschütt, stellen Sie sich unseren Besuchern doch einmal vor!
Ich bin in der Natur groß geworden und habe schon als 3-jährige mit meiner Oma im Garten gewerkelt und natürlich am liebsten geerntet. Mir waren schon immer Menschen und die Pflanzenwelt sehr wichtig. Noch in der Schweiz habe ich Krankenschwester gelernt und bin nach wie vor sehr froh darüber. Nach meinem Umzug nach Deutschland konnte ich mich im sozialen Bereich austoben und auch immer wieder weiterbilden, habe an Pflege- und Sozialpädagogikschulen gearbeitet, in der Betreuung und in der Pflege gewirkt und als letzte feste Anstellung war ich bei der Caritas Bremen im Pflegemanagement koordinativ tätig. In dieser Position merkte ich, dass die Natur unbedingt mehr in das Einrichtungsleben der Altenhilfe integriert werden sollte. Vielen Bewohnern fehlte der heimische Flecken GRÜN. In den Heimgärten fehlte es aber an positiven und optischen Reizen und an geschultem Personal um den Garten als Wohlfühlort oder gar Therapieraum zu nutzen.
Was ist Gartentherapie? Wem tut diese Form der Begleitung gut und wie wird sie im Alltag umgesetzt?
In der Gartentherapie wird durch Pflanzen, Natur und Gartenaktivitäten das soziale, psychische und physische Wohlbefinden des Menschen positiv beeinflusst. Wir nutzen hier den ganzheitlichen Ansatz und gehen davon aus, dass der Aufenthalt und das Wahrnehmen im Außenraum sich positiv auf uns Menschen auswirken, und Bestandteil eines gut gelebten Tages sein sollte. In der Gartentherapie nutzen wir Spaziergänge und Aktivitäten am Hochbeet genauso, wie die bewusste Wahrnehmung von Wetter und Jahreszeiten. Wir nehmen die Natur mit allen Sinnen wahr, machen „Garten-Bewegungen“, die aus der Biografie bekannt sind, und machen ganz nebenbei Gedächtnistraining, in dem wir nach altem verborgenem Wissen fragen. Hier ist es verblüffend wie viel Gartenwissen im Anbau, in der Gartenpflege, Bodenfruchtbarmachung oder auch in der Verarbeitung von Gemüse und Obst abgerufen werden kann. Und ich muss sagen, dass ich mich hier meist als Beschenkte fühle und mich sehr freue, an diesem Wissen teilzunehme. Außerdem nutzen wir die Natur auch gerne zur Förderung der Kreativität – hier geht es von der Gestaltung eines kleinen Gestecks, über den Blumenstrauß für das Bewohnerzimmer, bis hin zu duftenden Potpourris. Die Ernte von Kräutern wird zu Teemischungen verarbeitet und die eigene Ernte aus den Beeten wird meist nach alten Rezepten verarbeitet und gemeinsam genossen. In den Garten und zu den grünen Stunden sind alle eingeladen, die Lust dazu haben. Jede Einheit kann an die Zielgruppen angepasst werden. Fitte sind genauso dabei wie Menschen mit körperlichen, psychischen oder physischen Einschränkungen
Was ist das Besondere bei der Begleitung von Menschen mit Demenz? Was sollte man unbedingt beachten?
Bei Menschen mit Demenz geht es immer darum, den Moment zu nutzen und die Tagesform zu berücksichtigen. Es geht nicht darum, ein gewisses Ziel zu erfüllen, wie zum Beispiel ein ganzes Hochbeet zu jäten, sondern es geht darum, dem Menschen ein gutes Gefühl zu geben, das „dabei sein“ zu würdigen und positives positiv zu verstärken. Hier helfen kleinschrittige Anleitungen, wir arbeiten viel mit Piktogrammen und nutzen biografisch bekannte Pflanzen und wenig bis keine Neuzüchtungen. Auch hat sich das Konzept des Bauerngartens gut bewährt, also viel Blumen und Kräuter aber auch ein bisschen Naschgehölz und Gemüse. Mit dieser Mischung ist es einfach für jeden Bewohner,ein schönes und individuelles Sinnesangebot oder Gartenangebot zu planen. Die Vorlieben und Abneigungen bezüglich Pflanzen und Pflanzendüften sollten natürlich berücksichtigt werden. Genauso muss auch hier auf Überempfindlichkeiten oder Allergien geachtet werden.
Wie kann man bettlägerigen Menschen die Natur wieder etwas näherbringen? Welche Besonderheiten gibt es hier bei der Umsetzung der Sinnesangebote? Worauf sollte ich achten?
Hier können wir schöne und duftende Fundstücke aus der Natur auf einem kleinen Tablett oder einem Teller mit ans Bett bringen. Orientierend können wir z.B. im Frühjahr die Holunderblüten, im Sommer frisch gemähten Rasen und im Herbst den frischen Waldboden mit Pilzen mitbringen. Für Menschen, die immobil sind, sind diese Erlebnisse wunderbar. Wir können Gestecke mit Hilfe der Bettlebenden am Bett auf dem Nachttisch gestalten. Wir bringen Teekräuter mit und lassen den Bewohner daran riechen und machen direkt am Bett einen Teeaufguss und genießen das Getränk bei einem Kräutermärchen gemeinsam. Von der frischen Ernte der Gartengruppe zweigen wir etwas für das Angebot mit dem Bettlebenden ab und ernten z.B. die Kirschen eines kleinen abgebrochenen Astes direkt im Bewohnerzimmer. Frisch geerntete Kartoffeln riechen so intensiv und fühlen sich ganz besonders feucht und erdig an. Kleine Vasen im Sichtbereich des Bettlebenden können mit orientierenden Pflanzen bestückt werden – im Frühling mit Tulpen, im Sommer mit Lavendel, im Herbst die bunten Blätter und im Winter mit Tannengrün.
Mit manchen Bewohnern können wir noch ein Pflanzenmemory spielen, das geht auch gut im Bett.
Pflanzen mit starken Gerüchen sollten nicht in den Zimmern verbleiben (Lilien, Hyazinthen usw.)
Giftpflanzen werden in der Gartentherapie nur unter Anleitung genutzt (z.B. den Duft von Maiglöckchen riechen) danach werden diese Pflanzen wieder außerhalb der Reichweite von Bewohnern gebracht.
Können Sie uns eine kleine Geschichte oder Anekdote erzählen, die Sie im Rahmen der Gartentherapie mit Senioren und Menschen mit Demenz erlebt haben?
In einer Einrichtung werden jährlich Kartoffeln im Eimer angepflanzt. Dazu werden 3er Gruppen gebildet und jede Gruppe pflanzt, pflegt und erntet diesen Eimer. Am Tag der Ernte wird ein kleiner Wettbewerb gemacht. Wer hat die dickste Kartoffel? Wer hat am meisten Kartoffeln, zahlenmäßig? Und wer hat am meisten Kilo Kartoffeln? An diesem Wettbewerb wird immer mit viel Freude teilgenommen und danach wird in der Feuerschale ein Feuer mit Kartoffelkraut gemacht, die Kartoffeln aus dem Feuer mit Kräuterquark gegessen und alte Geschichten erzählt. Der Duft des Kartoffelfeuers lässt die Bewohner nochmal ganz besonders an frühere Zeiten auf dem Feld erinnern und sie sind nach diesem ganz einfachen Erlebnis wie beseelt.
Sie bieten eine Vielzahl an verschiedenen Seminaren an. An wen richten Sie sich mit Ihrem Angebot? Was erwartet die Teilnehmenden?
Die Teilnehmenden erwarten vor allem einfache und leicht umsetzbare Anleitungen. Praxisnah und unkompliziert ist hier die Devise. Wir nutzen Dinge aus dem Garten, aber auch Pflanzenmaterial vom Straßenrand oder von der umgebenden Natur.
Die Teilnehmenden kommen aus dem betreuerischen und pflegerischen Bereich. Auch Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Erzieher, Psychologen oder auch Coaches sind dabei. In der Ausbildung zum Gartentherapeuten sind auch Bildungswillige dabei, die einen gärtnerischen Beruf haben und in der Berufsausbildung oder im sozialen Bereich arbeiten.
Für alle Interessierten in der Seniorenarbeit, die noch keine Gartentherapeuten sind und die evtl. gerade erst anfangen, einen „Sinnesgarten“ aufzubauen: Haben Sie ein paar Tipps, wie einfache Sinneserfahrungen und Angebote mit Blumen und Pflanzen in den Alltag integriert werden können?
Ein kleines Hochbeet oder Beet im Garten reicht, um anzufangen und sich auszuprobieren. Es sind Pflanzen zu empfehlen die robust, multisensorisch und augenfällig sind. In meinen Seminaren fließen immer wieder Pflanzenkenntnisse ein, die die Teilnehmenden befähigen, eine schöne Grünfläche über alle Jahreszeiten zu gestalten und mit den Bewohnern zu pflegen.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft? Welche Pläne oder Ideen haben Sie?
Es ist wünschenswert, dass in jeder Einrichtung Teile des Gartens lebendig gestaltet sind und die Bewohner, wie auch Mitarbeitenden motiviert werden, den Naturraum aufzusuchen. Bevölkerte Gärten tun gut und verbessern die Lebensqualität. Ideal ist es, wenn in jeder Einrichtung mindestens ein Personentandem für die Gartengruppen und Gartenaktivitäten zuständig sind, dann können Gartenbereiche auch in Ferienzeiten überleben und der Spaß und die Motivation bleiben.
Herzlichen Dank, Frau Büssenschütt!!!