Ergotherapie bei Demenz. Wirklich Handarbeiten? 5 gute Gründe für ein “Ja!”

Auch in der Ergotherapie bei Demenz wird oft mit den Betroffenen gehandarbeitet. Stricken, Weben, Häkeln, Wickeln, Drehen, Nähen… das sind nur einige Techniken, die in der Ergotherapie mit Wolle, Fäden und Stoffen angewandt werden. Doch warum eigentlich? Ist das Handarbeiten wirklich noch zeitgemäß? Und was können diese Materialien und Techniken bewirken?
Wir haben in diesem Beitrag 5 gute Gründe für das Handarbeiten in der Ergotherapie bei Demenz aufgeführt.

Ergotherapie bei Demenz. Wirklich Handarbeiten?

  1. Biografiebezug
    Auch in der Ergotherapie muss ich die Menschen, mit denen ich arbeite, erreichen. Und das kann ich, indem (sofern mir diese bekannt sind) ich mich auf ihre Hobbies, Vorlieben usw. beziehe und ihnen dazu ein passendes Angebot mache. Einem zeitlebens hart arbeitenden Maurer brauche ich höchst wahrscheinlich nicht mit Hardangerstickerei zu kommen. Einer älteren Dame, die gerne Socken für ihre Kinder und Enkelkinder gestrickt hat oder Schleifen bestickt hat vielleicht schon eher.
    Oft können diese vertrauten Tätigkeiten mehr als tausend Worte sagen. Beim gemeinsamen Handarbeiten kommt man ins Gespräch, einigen Patienten kann man mit gezielten Fragen einen guten Einstieg in eine Unterhaltung ermöglichen. Andere wiederum, benötigen gar keine Unterstützung, das Handarbeiten alleine genügt schon, um Erinnerungen zu wecken, über die gerne gesprochen wird.
    Besonders im Bereich Demenz ist es wichtig, dass die Menschen sich wohl fühlen. Es gibt so viele Unsicherheiten, die den Betroffenen an einem Tag begegnen. Vertraute Handlungen, bekannte Materialien und das Gefühl, etwas zu können und ‘richtig’ zu machen, kann diesen Menschen Ruhe vermitteln und ein Stück Vertrauen zurück schenken.
  2. Koordination
    Das Handarbeiten fördert die Koordination. Und zwar die Koordination zwischen rechter und linker Hand, Händen und Augen und manchmal auch Händen und Füßen – beim Nähen mit der Nähmaschine zum Beispiel oder wenn ein Wollknäuel herunter fällt.
    Menschen mit Demenz bewegen ihre Hände viel. Wenn sie nicht das richtige Beschäftigungs- oder Spürerlebnis haben allerdings meist unkoordiniert und nicht zielgerichtet, es wirkt fast wie als seien sie auf der Suche. Menschen mit Demenz möchten etwas spüren.
    Beim Handarbeiten spüren sie einerseits die bekannten und ihnen vertrauten Materialien, andererseits führen die Hände gezielte Bewegungen aus, die auch noch koordiniert werden müssen. Durch die Vertrautheit der Handlungen gelingt das gefühlt fast wie von selbst.
    Und der schöne Nebeneffekt ist, dass durch die koordinierten und gezielten Bewegungen das Gehirn auch noch gleich mit trainiert wird.
  3. Aufmerksamkeit bzw. Konzentration
    Denjenigen, die Freude am Handarbeiten haben und die in ihre Leben schon früh mit dem Handarbeiten angefangen haben, gehen die einzelnen Handgriffe augenscheinlich ganz leicht “von der Hand”. Aber auch diesen Menschen, insbesondere wenn sie an einer Demenz erkrankt sind, bedarf es ein hohes Maß an Aufmerksamkeit bis hin zur Konzentration, um sich einer Aufgabe für einen bestimmten Zeitraum zielgerichtet zu widmen. Das nehmen die Betroffenen selbst in dem Moment gar nicht so bewusst wahr, weil sie das Handarbeiten eben gerne machen. Und genau das ist ein wichtiger Aspekt – nicht nur im Gedächtnistraining. Und auch nicht nur bei Menschen mit Demenz. Dass uns etwas leicht von der Hand geht, wenn wir es gerne machen, das kennt jeder von sich selbst.
    Und genau da möchten wir hin – sei es in unseren Beschäftigungsangeboten oder in der Ergotherapie. Eine vertraute Atmosphäre schaffen, gewohnte und beliebte Tätigkeiten aufgreifen und dabei gleichzeitig Fähigkeiten fördern und/oder Ressourcen erhalten.
  4. Erfolgserlebnisse
    Mit vertrauten und bekannten Dingen Erfolgserlebnisse schaffen. In der Arbeit mit Menschen mit Demenz fallen mir da zu aller erst musikalische Angebote ein, Übungen mit Sprichwörtern und Redewendungen, bekannte Gedichte und Liedtexte.
    Mit den Erinnerungen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind, lassen sich bei Menschen mit Demenz auch noch im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung, tolle Erfolgserlebnisse erzielen. Und Erfolgserlebnisse sind im Leben dieser Menschen, die von Tag zu Tag mehr und mehr Einschränkungen in ihren Fähigkeiten und Verluste erleben müssen ganz wichtig! Auch das Handarbeiten kann hier bei demenziell veränderten Menschen eine Kraftquelle sein. Und das besondere beim Handarbeiten an sich ist auch noch, dass man das Ergebnis seiner Arbeit wahrhaftig in den Händen halten kann.
  5. (Be)greifen
    Wie vorhin schon kurz erwähnt mögen es Menschen mit Demenz, etwas zu berühren. Einerseits spüren sie die Dinge, die sie (be)greifen an sich und nehmen anhand der Haptik verschiedene Spürinformationen auf, um den Gegenstand oder das Material in seiner Form, Größe und Festigkeit zu erkennen. Andererseits spüren Menschen mit Demenz ihren eigenen Körper wieder besser, wenn sie etwas anfassen. Sie nehmen unter anderem ihre Grenzen wieder besser wahr und spüren “hier bin ich”.
    Auch bekannte Materialien, wie weiche Stoffe oder dicke Wolle, schaffen ein vetrautes Gefühl, dass Erinnerungen anregen und längst vergangene Erlebnisse wieder aufleben lassen kann.

Unsere Antwort zum Handarbeiten in der Ergotherapie bei Demenz ist also ja!
Natürlich sollte man, wenn man Handarbeiten – sowohl in der Ergotherapie bei Demenz als auch in Aktivierungs- und Beschäftigungsangeboten – einsetzen möchte, sich vorher mit der Biografie der Betroffenen und deren Vorlieben und Abneigungen vertraut machen. Zusätzlich sollte kurz abgeklärt werden, ob keine motorischen oder sensorischen Einschränkungen bestehen, die sich im Nachhinein frustrierend auf die Senioren auswirken können. Wenn ich zum Beispiel zeitlebens gerne gestrickt habe, ich es aber aufgrund von Seheinschränkungen oder einer Arthritis in meinen Gelenken einfach nicht mehr machen KANN, macht mich so ein Angebot, bei dem mir immer wieder die Maschen herunter fallen und ich sie gar nicht greifen kann, sehr traurig.
In dem Falle könnte man das Angebot beispielsweise adaptieren und einen Pompom wickeln, bei dem der oder die Betroffene zwar mit Wolle arbeitet, aber keine komplizierten Handgriffe tätigen muss.
Übrigens wird das Handarbeiten innerhalb der ergotherapeutischen Behandlung nicht nur bei dem Krankheitsbild Demenz angewandt. Auch bei einigen psychischen Erkrankungen oder motorischen bzw. sensorischen Einschränkungen werden Techniken mit Wolle, wie z.B. das Weben, oder auch Nähen angeboten.

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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