Schneeglöckchen. Eine Hoffnungsgeschichte

Nach einem langen, dunklen Winter kommt irgendwann auch wieder der Frühling und die Hoffnung zurück. Eine Hoffnungsgeschichte zum Vorlesen für Senioren.



Schneeglöckchen

Der Winter dauerte und dauerte. Ab Oktober wurde es kalt und Herbststürme hinderten die Menschen daran, nach draußen zu gehen. Aber auch der Lockdown, die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie, begann im Herbst und konnte aufgrund der hohen Infektionszahlen nicht gelockert werden. Im November fiel dann der erste Schnee und ab da konnte Rosi gar nicht mehr nach draußen, denn der Rollator ließ sich nicht durch den Schnee schieben. Also blieb Rosi nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben. Die wöchentlichen Treffen des Seniorenkreises im Gemeindehaus fielen auch aus, den Einkauf brachte der Lebensmittelhändler, bzw. es kam das „Essen auf Rädern“. Rosis Haushaltshilfe huschte immer nur schnell mit dem Staubsauger durch alle Zimmer. Für einen Plausch blieb keine Zeit und außerdem musste sie Maske tragen und Abstand halten. Ihre Kinder sah Rosi in diesem langen Winter auch nicht. Beide – Sohn und Tochter – wohnten mit ihren Familien weit weg und wollten nicht riskieren, Rosi mit dem Virus anzustecken. Ihre Freundin war im Oktober ins Pflegeheim gekommen. Rosi durfte sie wegen der Schutzmaßnahmen nicht besuchen.
Beim Müll-Rausbringen, Post-Holen und Wäsche-Aufhängen traf sie ab und zu mal einen Nachbarn. Aber alle waren wegen des Virus besorgt, blieben auf Abstand und hatten keine Zeit. So war Rosi also immer nur allein.

Bis Weihnachten machte ihr das Alleinsein noch nicht soviel aus. Sie backte Plätzchen, schmückte alles weihnachtlich und saß nachmittags bei Kerzenschein und einer duftenden Tasse Tee am Küchentisch und strickte Socken für die ganze Familie.
Das Weihnachtsfest war das einsamste, was Rosi je erlebt hatte. Zwar telefonierte sie mit ihren Kindern und Enkelkindern und bekam auch ein Päckchen mit Geschenken, aber ihr fehlten einfach die Gespräche, das Lachen, das Beisammensein und vor allen Dingen die Umarmungen. Rosi verbrachte das Weihnachtsfest auf dem Sofa, schaute schnulzige Filme und heulte.

Doch auch nach dem Weihnachtsfest wurde es nicht besser. Der Januar und Februar waren kalt. Es gab fast jeden Tag neue Meldungen und Regeln zu Corona und Rosi wusste auch nicht, wann und ob sie sich impfen lassen könne.
Die Tage wurden immer öder: Rosi stand spät auf, frühstückte lustlos, las die Zeitung und die vielen Todesanzeigen, wischte etwas Staub oder bügelte. Dann wurde schon das Mittagessen geliefert. Danach legte sie sich ein Weilchen hin und nachmittags löste sie das Kreuzworträtsel und ließ sich bis spät abends vom Fernsehprogramm berieseln. Unterbrochen wurde dieses Einerlei nur durch die wöchentlichen Telefonate mit den Kindern.

Und dann kam doch ein schöner Tag. Im März hatte Rosi einen Termin bei ihrem Friseur ergattert. Das wurde aber auch endlich Zeit! Sie ließ sich beim Friseur verwöhnen und unterhielt sich nett. Danach beschloss Rosi, zu Fuß nach Hause zu gehen. Die Sonne schien warm, die Vögel zwitscherten und Rosi ging langsam die Straße hinab. Und zwischen all dem alten Laub streckten doch tatsächlich ein paar Schneeglöckchen ihre weißen Blüten der Sonne entgegen. Dieser Anblick machte Rosi richtig froh und wärmte ihr Herz. Bedeutete er doch, dass das Leben immer weiter ging und das nach dem langen Winter auch wieder der Frühling kommt und alles wieder gut wird.

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Monika

© by Monika Kaiser. Buchhändlerin, Betreuungskraft, Autorin bei Mal-alt-werden.de

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