Gottesdienste feiern…

Im Gespräch mit Regine Stoltze über Gottesdienste für und mit Menschen mit Demenz

Hallo Frau Stoltze, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Ich bin 1957 in Bremen geboren, verheiratet und Mutter zweier erwachsener Kinder. Nach meinem Theologiestudium habe ich in Kirchengemeinden in Hildesheim und Solingen gearbeitet, zuletzt hier im westlichen Ruhrgebiet. Vor 9 Jahren habe ich dann etwas ganz Neues gewagt und mir eine Stelle in der sozialen Betreuung in einer vollstationären Pflegeeinrichtung in Mülheim an der Ruhr gesucht. Seit dem arbeite ich überwiegend in der Betreuung Hochbetagter und Menschen mit einer Demenz. Ich habe aber weiterhin noch einen Teilzeitauftrag in einem kirchlichen Projekt, in dem Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen zusätzliche Betreuung und Unterstützung bekommen.

Sie gestalten unter anderem auch Gottesdienste für Menschen mit Demenz. Wer schon einmal an solch einem Gottesdienst teilgenommen hat weiß, wie gut man viele Senioren damit erreichen kann und wie bewegend solche Momente, für beide Seiten, sein können.
Welchen Stellenwert haben Gottesdienste im Leben der heutigen Senioren und warum kann man besonders Menschen mit Demenz noch so gut damit erreichen?

Die Generation der Heute Hochbetagten haben in der Regel noch eine starke religiöse Sozialisation. Aber auch unabhängig davon können wir Menschen mit einer Demenz gut mit Gottesdiensten erreichen, wenn diese emotional von der Zuwendung Gottes zu uns Menschen geprägt sind. Diese Zuwendung muss natürlich durch Menschen vermittelt werden, die den Gottesdienst durchführen.
Die Zuwendung kommt auf jeden Fall an. Und in diesen Gottesdiensten können wir uns der unterschiedlichen Elemente eines Gottesdienstes bedienen. Wir singen und beten gemeinsam vertraute Lieder und Gebete, wie z.B. das Vaterunser. Das hilft, sich selbst als Teil der Gemeinschaft zu erleben, die sich Gott anvertraut.
Wir können Themen ansprechen, die sonst im Pflegealltag nicht so einfach angesprochen werden können. Angst vor dem, was auf einen zu kommt, Sorge um Angehörige, Trauer, Hilflosigkeit, Scham, Versagensängste, Ohnmacht, …

Kann bzw. darf jeder von uns einen Gottesdienst feiern? Und sollte man einen „richtigen“ Gottesdienst nicht in einer Kapelle oder einer Kirche feiern?

Einen Wortgottesdienst kann jeder feiern. Nur die Sakramente sind an das ordinierte Amt gebunden. Deswegen können nur Ordinierte Abendmahl bzw. Eucharistie feiern. Aber es sollten nur Menschen Gottesdienste feiern, die darauf vertrauen, dass Gott sich in diesen Gottesdiensten durch die Zuwendung derer, die den Gottesdienst gestalten, offenbart.

Welchen Rat und welche Tipps können Sie uns für die Gestaltung von Gottesdiensten mit Senioren, insbesondere mit Menschen mit Demenz, mit auf den Weg geben?

Seien Sie ganz sie selbst, mit Ihren Schwächen, Zweifeln und Ängsten. Vertrauen Sie darauf, dass Gott die Menschen erreicht mit seiner Liebe, die Ihnen in diesem Gottesdienst anvertraut sind. Und versuchen Sie selbst so viel Liebe für sie aufzubringen, wie Ihnen möglich ist. Versuchen Sie nicht, Menschen religiös oder wie auch immer zu erziehen. Sehen Sie in ihnen Menschen, die bedingungslos von Gott geliebt werden, sich selbst eingeschlossen.

„Gottesdienste feiern mit Menschen mit Demenz“ – so heißt eines Ihrer Bücher. Was hat Sie bewegt dieses Buch zu schreiben?

Ich wollte mit helfen, dass Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen Gottesdienste anbieten können, auch wenn sie wenig Erfahrung mit der Gestaltung von Gottesdiensten haben. Mitarbeiter sind mit den Sorgen und Nöten der Hochbetagten in Pflegeeinrichtungen in der Regel eher vertraut, als Pfarrer/innen, die gelegentlich zu Gottesdiensten in die Einrichtung kommen. Außerdem werden in Zukunft seltener Pfarrer/innen für diese Aufgaben zur Verfügung stehen, da alle Kirchen Personal reduzieren müssen.
Mit diesem Buch können Mitarbeitende schon mal starten und bekommen eine Vorstellung, wie solch ein Gottesdienst ablaufen kann.
Wer etwas mehr Erfahrung und sich weiterbilden lassen hat, kann dann eigene Gottesdienste gestalten.

Gibt es Situationen oder Geschichten, die Sie in Gottesdiensten mit Menschen mit Demenz besonders bewegt oder berührt haben?

Mich berührt immer besonders, wenn Gottesdienstteilnehmende sich mit ihren Geschichten einbringen. Die Gottesdienste sind immer interaktiv gestaltet. Wenn ich erlebe, dass Gottes Zuwendung wahr- und angenommen wird.
Mich berührt auch, wenn ich am Ende des Gottesdienstes jeden einzeln segne, wie sehr dieser persönliche Segen angenommen wird. Das ist oft noch Stunden nach dem Gottesdienst zu spüren. Die Teilnehmenden sind entspannter und viel offener. Sie lassen sich in Krisenfällen in der Regel viel leichter beruhigen als sonst. Und manchmal helfen ihnen auch Metaphern aus dem Gottesdienst, dass sie uns ihre innere Not vermitteln können. Wenn z.B. eine bereits schwer Demenzerkrankte sagt, sie habe Betonschuhe an, nachdem wir einen Gottesdienst zum Thema: „Schuhe, die durchs Leben tragen“, gefeiert haben. Und sie uns damit mitteilt, wie schwer sie es erlebt, in ihrem jetzigen Leben voran zu kommen.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Dass es immer mehr Menschen in Pflegeeinrichtungen gibt, die darauf vertrauen, dass Gott mit im Boot sitzt und sowohl den Mitarbeitenden wie auch den Bewohnern seine Zuwendung erfahren lässt. Dass wir uns alle getragen erleben dürfen von jemandem, der uns bedingungslos liebt.

Herzlichen Dank, Frau Stoltze!!!

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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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