Hühner – Eine Alltagsgeschichte zum Vorlesen
Früher hielt jeder, der ein Eigenheim mit Garten hatte, Hühner. Seit einigen Jahren sieht man die Hühnerhaltung wieder öfter. Wir haben heute für Sie eine Kurzgeschichte aus dem Alltag zum Thema Hühner zum Vorlesen für die Senioren eingestellt.
Hühner
Wir hatten früher Hühner. Das heißt, es waren die Hühner meiner Oma. Wir wohnten mit meinen Großeltern zusammen, denn mein Elternhaus war eigentlich mein Großelternhaus.
Wir hatten etwa fünf braune Hühner und keinen Hahn. Wie die genaue Hühnerrasse hieß, weiß ich nicht. Es waren halt braune Haushühner. Der Hühnerhof befand sich direkt neben dem Haus und war an zwei Seiten von einem hohen Zaun umgeben. Die dritte Seite begrenzten Flieder- und Holunderbüsche. Zum Schlafen gingen die Hühner über eine kleine Leiter durch das Kellerfenster in ihren Hühnerstall. Das war ein Kellerabteil, das mit einer Stange zum Schlafen für das Federvieh und einem Brett für die Eier ausgestattet war. Der Boden im Keller war mit Stroh bedeckt und der Boden im Hühnerhof bestand aus Erde, damit die Hühner scharren und Nester bauen konnten. Also die Hühner bauten natürlich keine Nester wie Amseln oder Meisen, sondern Kuhlen in der Erde, sogenannte Legenester. Im Hühnerhof standen auch Tröge mit Wasser.
Morgens früh ging meine Oma in den Keller, öffnete das Fenster und sammelte die Eier ein. Die Hühner gurrten und spazierten dann durch das Kellerfenster hinaus in ihren Hühnerhof. Dort streute meine Großmutter ihnen Futter hin und gab ihnen frisches Wasser. Die Hühner schüttelten sich und spreizten ihre Flügel, sie scharrten in der Erde und pickten das Futter auf. Gemüseabfälle und Salatblätter bekamen sie auch – die warf meine Oma beim Mittagessen vorbereiten aus dem Küchenfenster in den Hühnerhof.
Ich hätte den Hühnern stundenlang zusehen können und bildete mir ein, das ein Huhn mir ganz allein gehörte und meine Freundin war.
Ich mochte auch die warmen, braunen Hühnereier. Sie hatten immer die perfekte ovale Form und so ein schönes helles, glänzendes Braun. Sie fühlten sich ganz glatt an und dufteten.
Und ich mochte auch den Hühnerbraten, den meine Oma ab und zu machte. Das Brathähnchen hatte immer eine knusprige, braune Haut, zartes, weiches Fleisch, duftete herrlich und schmeckte auch so.
Dass es vielleicht meine Hühnerfreundin war, in deren Schenkel ich gerade herzhaft biss, habe ich nie bedacht. Es ist mir nie aufgefallen, dass plötzlich ein Huhn fort war und dass dieses Huhn nun im Topf gelandet war. Ich habe mir als kleines Kind keinerlei Gedanken darüber gemacht.
Da ich ja auch noch nicht in der Schule, geschweige denn im Kindergarten war, durfte ich meine Oma zum Markt begleiten, wenn sie dann ein neues Huhn kaufte.
Das war für mich jedes Mal ein besonderer Tag. Es gab so viele verschiedene Hühner und eines davon wurde dann nach ausgiebigen Gesprächen zwischen meiner Großmutter und dem Marktmann ausgewählt. Ich war immer ganz aufgeregt, wenn wir dann das Huhn mit nach Hause nahmen und es zu den anderen in den Hühnerhof setzten.
Irgendwann wurden die Hühner abgeschafft und der Hühnerhof zu einer Terrasse umgebaut. Jahre später saß ich dort an einem freien Schultag und las, als ein Salatblatt von oben auf mein Buch fiel. Meine Oma hatte vergessen, dass wir keine Hühner mehr hatten.