Ethik und Demografie

Was haben ethische Debatten mit Demografie zu tun? Demografie wird im Brockhaus (2005) folgendermaßen definiert:

 

 „Demographie die, beschreibende Bevölkerungskunde.“

 
Ethik und Demografie sind eng miteinander verknüpft.
Demografie selbst wertet also nicht, sie beschreibt. Sie beobachtet und hält fest, wie sich die Bevölkerung zusammensetzt und entwickelt. Diese Entwicklungen sind an erster Stelle neutral. Wenn demografische Entwicklungen diskutiert werden, geschieht das hingegen sehr selten neutral. Wie sich die demografischen Entwicklungen auswirken, welche Folgen sie haben und welche Handlungen die Konsequenz von demografischen Erkenntnissen sein müssen- bei solchen Fragestellungen erkennt man, wie demografische Erkenntnisse und ethische Debatten miteinander verschmelzen.

 

Dass die deutsche Bevölkerung altert, ist nicht umstritten. Man spricht von der dreifachen Alterung, die sich aus dem Anstieg der absoluten Anzahl älterer Menschen, dem Anstieg des prozentualen Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung und der steigenden Anzahl an hochaltrigen Menschen zusammensetzt. Gründe für die demografischen Entwicklungen sind unter anderem der Geburtenrückgang und die steigende Lebenserwartung. Welche Konsequenzen diese Alterung hat, haben wird und haben sollte, ist da schon eher umstritten und  Philosophen stoßen auf viele Aspekte, über die sich debattieren lässt (Kuhlmey 2008).

 Der Demografiediskurs in Deutschland

Der Demografiediskurs wird in Deutschland häufig sehr dramatisierend geführt. In vielen Reden und Veröffentlichungen stehen Ängste und Gefahren, die mit dem demografischen Wandel verbunden sind im Mittelpunkt. Angelehnt an den Artikel „Alterungsangst und Todesgefahr- Demografie- Diskurs (1911-2011)“ von Thomas Bryant (2011) soll der deutsche Demografiediskurs nun mit Hilfe von einigen literarischen Veröffentlichungen erläutert werden.

 

Die Zeitreise zur literarischen Darstellung des demografischen Wandels beginnt im Jahr 1911 in dem Max Hirsch, ein Gynäkologe, einen Aufsatz mit dem Titel „Der Geburtenrückgang- Etwas über seine Ursachen und die gesetzgeberischen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung“ veröffentlichte. In dieser Zeit gab es mehrere Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema auseinandersetzten-, dass die Geburtenziffer zurück geht, war aber schon seit dem Jahr 1877 nachweisbar (Bryant 2011). Es waren vor allem Mediziner, die sich mit dem Thema auseinandersetzten und der Ton, der in den Veröffentlichungen angeschlagen wurde, war von Anfang an sehr radikal. Bryant (2011) nennt ihn sogar „polemisch, populistisch und sensationslüsternd“.

 

Den Durchbruch für die Diskussion über die demografischen Entwicklungen erreichte eine Veröffentlichung von Friedrich Burgdörfer, der 1932 sein Hauptwerk „Volk ohne Jugend“ publizierte. Kurz darauf, 1933, fand die Machtergreifung der Nationalsozialisten statt. In der Zeit des Nationalsozialismus waren demografische Fragestellungen ein zentrales Thema. Die Zusammensetzung und Entwicklung der Bevölkerung wurde unter rassenhygienischer Sicht zum  alles bestimmenden Thema. Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung „des deutschen Volkes“ erreichten grausame Höhepunkte. Im  Menschenbild der Nationalsozialisten waren Menschen, die alt oder gar krank und pflegebedürftig waren, Ballast und passten nicht zu einem jungen und leistungsfähigem Volk.

 

Die Darstellung wird langsam differenzierter

 

Nach dem Scheitern der Nationalsozialisten wurde der demografische Diskurs erst in den 50er Jahren wieder in die Öffentlichkeit getragen. 1953 wurde ein Bundesministerium für Familienfragen gegründet, welches mit Hinweisen auf die „Überalterung“ und das „Aussterben des Volkes“ von Bundeskanzler Konrad Ardenauer und  Minister Franz-Josef Wuermeling eröffnet wurde. 1957 erschien das Buch „Europa stirbt und merkt es nicht“ von Dr. Findeisen. In den 80er Jahren stieg das Interesse der Medien an diesem Thema und die Publikationen trugen Titel wie: „Deutschland ohne Deutsche“, „Die Endlösung der Deutschen Frage“ oder „Sterben wir aus?“ (Bryant 2011).

 

In der jüngeren Vergangenheit ist die Diskussion rund um die demografischen Entwicklungen etwas differenzierter geworden. Im Jahr 2004 wurde das Buch „Das Methusalem-Komplott“ von Frank Schirrmacher publiziert- im Jahr 2006 erschien das Buch „Keine Angst vor Methusalem! Warum wir mit dem Altern unserer Bevölkerung gut leben können.“ Von Nicholas Strange. Trotz der zugenommenen Differenzierung dominieren allerdings einseitige Darstellungen (Bryant 2011).

 

Quellen:

Beauchamp, T.L., Childress, J.G. (2001): Principles of Biomedical Ethics. New York: Oxford University Press.
Birnbacher, D. (1999): Ethische Probleme der Rationierung im Gesundheitswesen. In: Brudermüller, G. (Hrsg): Angewandte Ethik und Medizin. Würzburg: Königshausen und Neumann.
Brockhaus (2005): Der Brockhaus. In einem Band. Jubiläumsedition 2005. 11. Auflage.
Leipzig: F.A. Brockhaus.
Brunner, H. (2001): Gesundheitsökonomie und Altersrationierung- (k)ein Thema in Deutschland. In Möller, P. (Hrsg.): Die Kunst des Alterns. Medizinethische Diskurse über den Alterungsprozess in exogener Einflussnahme. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Bryant, T. (2011): Alterungsangst und Todesgefahr- der deutsche Demografiediskurs (1911-2011). In: APuZ-11/2011, S.40-46.
Enquete-Kommision (2002): Recht und Ethik in der modernen Medizin. Berlin: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit.
Kuhlmey, J. (2008): Versorgung älterer Menschen aus ethischer Perspektive. In: Kuhlmey, A. (Hrsg.): Alter, Gesundheit und Krankheit. Bern, S.400-411.
Hellmchen, H., Kanowsi, S. & Lauter, H. (2005): Ethik in der Altersmedizin. Stuttgart: Kohlhammer.
Steinvorth, U. (1999): Angewandte Ethik und Zivilgesellschaft. . In: Brudermüller, G. (Hrsg): Angewandte Ethik und Medizin. Würzburg: Königshausen und Neumann.

Natali

© by Natali Mallek. Dipl. Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Gedächtnistraininerin, Master of Arts "Alternde Gesellschaften", Gründerin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Natali Mallek finden Sie hier. Fortbildungen mit Natali Mallek finden Sie hier.

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