Hunde in der Pflege. Das Interview

Im Gespräch mit Silke Kowol über tiergestützte Aktivierungen in der Seniorenarbeit

Hallo Frau Kowol, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Silke Kowol, ich bin 41 Jahre alt und lebe mit meinem Partner und unseren beiden Hunden Snow und Frieda in Heilbronn. Hauptberuflich arbeite ich als Sozialpädagogin in der Suchthilfe. Zusätzlich bin ich nebenberuflich mit den Hunden in derzeit drei Seniorenresidenzen mit Einzel- und Gruppenangeboten aktiv.



Sie bieten jetzt schon seit mehr als zehn Jahren die tiergestützten Interaktionen mit Ihren Hunden in der Seniorenarbeit an. Was hat Sie bewegt, diesen Weg in Ihrer beruflichen Laufbahn einzuschlagen?

Für mich war das die ideale Verbindung zwischen Hobby und Beruf, um mich, damals noch ehrenamtlich, mit Besuchen bei Senioren sozial zu engagieren. Inzwischen sind es unzählig viele schöne Begegnungen und überwältigende Reaktionen der Bewohner, die mir zeigen, dass tiergestützte Interaktionen wichtig und sinnvoll sind.

Können Sie noch einmal kurz erklären, was genau tiergestützte Interaktionen sind? Welche Ziele kann man mit diesen Begegnungen verfolgen?

Unter einer tiergestützten Interaktion verstehe ich die gezielte Förderung eines Austauschs zwischen mir als Begleiter mit Hund und dem Menschen in der Einrichtung unter Berücksichtigung des sogenannten Interaktionsfelds „Mensch-Hund-Mensch“. D.h. die Begegnung wird individuell angepasst an mein Gegenüber, den Hund und die jeweilige Situation. Ich als Begleiter wäge ab, was zu dem begleitenden Menschen und zu meinem Hund in dieser Begegnung passt.
Das Hauptziel dabei ist immer, einen Zugang zum Menschen zu finden und Freude zu bereiten.
Weitere Ziele sind mehr Kontaktmöglichkeit und Nähe, die Steigerung des Wohlbefindens und des Selbstwertgefühls, der Erhalt der Sinnesfähigkeiten, der Gedächtnisleistungen, der Mobilität und der Gesundheit.

Wer kann und darf tiergestützte Aktivierungen mit Hunden in der Seniorenarbeit anbieten?

Tiergestützte Aktivierungen kann jeder verantwortungsbewusste Hundehalter anbieten, der sowohl seine eigenen persönlichen Grenzen als auch die seines Hundes kennt, und sich auf sein Gegenüber, den betagten Mensch, mit einer positiven Grundhaltung einlassen kann.
Eine standardisierte Ausbildung mit festgelegten Richtlinien oder einem Curriculum gibt es noch nicht. Empfehlenswert sind Kurse, die neben einem Grundgehorsam die Bindung zwischen Hundehalter und Hund fördern, damit der Hund in jeder Situation ansprechbar ist.

Wie sollten diese tiergestützten Besuche oder Aktivierungen gestaltet sein? Worauf muss man unbedingt achten?

Tiergestützte Interaktionen können als Besuchsdienste oder mit Veranstaltungscharakter angeboten werden, als festes und fortlaufendes Gruppenangebot oder als Einzelkontakte.
Zu beachten ist vor allem, dass sich alle Beteiligten, also auch der Hund, wohlfühlen und dass die Grenzen von jedem respektiert und geachtet werden. Manche Menschen möchten z.B. keinen direkten Körperkontakt zum Hund, andere mögen es zu streicheln, zu füttern und zu bürsten. Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht mit festen Ritualen, sowohl für den Menschen als auch für den Hund. D.h. die Gruppenstunden beginnen und enden immer gleich und der Hund wird mit einer bestimmten Übung auf den Einsatz eingestimmt. Die inhaltliche Ausgestaltung hängt dann davon ab, was ich als Mensch einbringen kann, z.B. mit meinem Beruf als Sozialpädagogin, und wo ich den Hund passend in die Themen einbeziehe.

Die Hunde sollten langsam an bestimmte Situationen herangeführt und gezielt auf die Einsätze vorbereitet werden, gesund sein und ihrem Wesen entsprechend im Alltag ausgelastet werden als Ausgleich.

Zudem ist es wichtig, dass die Hygienevorschriften der Einrichtungen beachtet und bestimmte Räumlichkeiten gemieden werden.
Eine gute Kooperation mit den Betreuungsfachkräften vor Ort ist hilfreich für wichtige Vorinformationen, z.B. Allergien etc.

Tiergestützte Aktivierungen werden insbesondere bei der Begleitung von Menschen mit Demenz gerne angeboten. Welche Wirkung haben die Hunde auf die Senioren? Und warum kann mit Hilfe der Tiere so viel bewegt werden?

Tiere stellen eine Brücke ins „Hier und Jetzt“ her und schaffen dadurch einen angenehmen Bezug zur Realität für Menschen mit Demenz. Über basale Stimulation, beispielsweise durch die Körperwärme des Hundes oder die Berührung der Hände durch die Hundezunge, wird das Erinnerungsvermögen angeregt und z.B. die Sprachfähigkeit gefördert. Letztendlich wirkt es sich positiv auf das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Menschen aus, wenn sich Orientierungsvermögen, Kommunikation, körperliches und emotionales Befinden und die soziale und gesellschaftliche Teilhabe verbessern. Darüber hinaus ist es auch ein großer Gewinn für die jeweilige Einrichtung, wenn es den Bewohnern gut geht.

Ihr Buch Hunde in der Pflege. Helfer auf vier Pfoten* ist ein Ratgeber für tiergestützte Aktivierungen und Therapien im Pflegealltag. In dem Buch stellen Sie unter anderem 30 Begegnungen zwischen Mensch und Hund vor. Würden Sie uns eine dieser Begegnungen beispielhaft vorstellen?

Eine sehr beliebte Begegnung ist z.B. ein Suchspiel mit einer schlichten Gummimatte, in die der Bewohner ein Leckerli für den Hund einwickelt und der Hund diese, vorzugsweise mit der Nase, wieder aufrollt. Vielen Bewohnern ist der Bewegungsablauf des Einwickelns bekannt, es fällt auch mit einer Hand leicht, wenn es körperliche Einschränkungen gibt. Ein Spiel mit Futter hat den wichtigen Aspekt des Gebens, so dass der Bewohner aus der Rolle des immer Nehmenden herauskommt, indem er dem Hund etwas Gutes tut. Und ein Spiel als solches bereitet immer allen eine Freude!
Als begleitendes Gespräch – welches bei jeder Begegnung IMMER im Vordergrund stehen sollte, denn es geht um die Interaktion und nicht nur um reine Beschäftigung – bieten sich dann viele Themen von der Erinnerung im Umgang mit eigenen Tieren bis hin zur Aufgabe und dem Nutzen der Sinnesorgane bei Mensch und Tier.

Welche Tiere eignen sich neben den Hunden für Begegnungen mit Senioren?

Ich selbst habe bisher nur Erfahrungen mit Hunden gemacht, weil mir die Ausbildungs- und Trainingswege mit Hunden liegen. Bekannt sind positive Erfahrungen mit Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen, Alpakas und auch Ponys. Ich denke, das hängt auch immer davon ab, wie wir als Begleiter die Interaktionen gestalten und diese auf alle Beteiligten abstimmen.

Würden Sie uns vielleicht eine kleine Geschichte oder Anekdote erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?

Ich erinnere mich sehr gerne an eine betagte Frau mit fast 100 Jahren, die sich ihr ganzes Leben lang um ihre Familie und um einen Hof gekümmert hatte. Sie konnte sich nur schwer in der Residenz einleben, denn Unterstützung und Hilfestellung annehmen war für sie fremd und unvorstellbar. Als dann noch besondere Pflegemaßnahmen wegen einer Erkrankung an den Beinen erforderlich wurden, kam ihr das übertrieben vor und sie wollte diese Pflege nicht zulassen. Erst mit der Anwesenheit des Hundes und ihrer Fürsorge und Zuwendung dem Hund gegenüber, konnte sie eigene Pflege akzeptieren und annehmen, z.B. wenn sie dem Hund Wasser gab, ihn bürstete, mit ihm sprach und sich um ihn kümmerte. So wurde die gemeinsam verbrachte Zeit für alle Beteiligten, auch für das Pflegepersonal, sehr angenehm.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Noch viel mehr Möglichkeiten in unserer Gesellschaft, Menschen im Alter Zugang zu unterschiedlichen Begegnungen zu verhelfen, z.B. auch mit Tieren!

Herzlichen Dank, Frau Kowol!!!

Sehr gerne! Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an diesem Thema.

Zur Buchvorstellung von “Hunde in der Pflege. Helfer auf vier Pfoten”
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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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