Biografiegeragogik: Der Schlüssel unserer Herzen
Ein Interview mit Mathias Lange
Lieber Herr Lange, wir freuen uns sehr, Sie als Interviewpartner bei Mal-alt-werden.de begrüßen zu dürfen! Stellen Sie sich unseren Lesern doch bitte einmal kurz vor.
Als Ergotherapeut und Sozialfachwirt verfüge ich über langjährige Erfahrung in der therapeutischen und sozialen Arbeit mit großen und kleinen Menschen in unterschiedlichen Einsatzfeldern und unterschiedlichen Lebenssituationen. Mein erworbenes Wissen z.B. in der Palliative Care, Aromatherapie und als Leitung im sozialen Dienst teile ich seit vielen Jahren in Fortbildungen mit Pflege- und Betreuungskräften.
Biografiearbeit ist ein Wort, das in der Altenarbeit häufig genutzt wird. Eine allgemeingültige Definition gibt es allerdings nicht. Was bedeutet Biografiearbeit für Sie?
Für mich bedeutet Biographiearbeit immer ein Kennenlernen von Lebensgeschichten, Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen von Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Die gewonnenen Kenntnisse helfen mir, professionelle Nähe praxisnah zu gestalten gerade im Pflegeheimalltag dabei zu helfen, ein größtmögliches Wohlbefinden und ein Gefühl des wertschätzenden Miteinanders zu gestalten.
Unsere Leser lieben kleine, praktische Anregungen für die Praxis. Können Sie vielleicht eine oder zwei kleine Methoden für die Biografiearbeit kurz vorstellen?
Ich arbeite sehr gerne mit biographischen Fragekarten, die nach unterschiedlichen Lebensphasen geordnet sind und neben einem Einblick in den Lebenslauf auch Meinungen, Wünsche, Vorstellungen und Haltungen erfassen. Weiterhin nutze ich sehr gern ätherische Öle oder den gezielten Einsatz von Düften, um über den Riechsinn mit Menschen ins Gespräch oder die Interaktion zu für sie lebensgeschichtlich bedeutsamen Erinnerungen zu finden.
Nicht jeder Moment unseres Lebens ist schön. Besteht bei der Biografiearbeit nicht die Gefahr, unangenehme Erinnerungen, Gefühle oder vielleicht sogar verschüttete Traumata wachzurufen? Wie geht man in der Praxis damit um?
In der Biographiearbeit und der Arbeit mit der Lebensgeschichte eines Menschen gibt es nie nur die schönen Momente, die angesprochen werden oder an die sich erinnert wird. Jeder Mensch hat auch Schicksalsschläge, unangenehme Ereignisse oder auch traumatisierende Erfahrungen in seinem Leben machen müssen. Daher ist es wichtig, professionell nah, aber auch einer ausreichenden Selbstpflege mit den uns anvertrauten Menschen umzugehen. Schwierige und herausfordernde Situationen spreche ich an, achte aber darauf, nur so weit zu gehen, dass ich die Situation handhaben kann oder entsprechende Hilfe (Psychologe, etc.) organisieren kann. In Gruppensituationen wechsele ich das Thema und wende mich der entsprechenden Person in einer entspannten Einzelsituation zu. Hier ist es meiner Erfahrung nach wichtig, sich Zeit einzuplanen.
In der Biografiearbeit geht es nicht nur um die Menschen, die wir betreuen, wir kommen auch immer wieder mit eigenen Erinnerungen in Kontakt. Welche Tipps können Sie unseren Leben zum Umgang mit eigenen Erlebnissen geben? Wie viel meiner eignen Geschichte darf ich mit in die Betreuung von Senioren nehmen?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein authentischer und offener Umgang eine Zusammenarbeit in der Betreuung und Begleitung von Senioren erleichtert. Dazu gehört es auch, eigene Erlebnisse, Haltungen und Wünsche in die Arbeit einzubringen. Wichtig empfinde ich es, dies als „Türöfnner“ einzusetzen, um meinem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, die eigene Geschichte zu erzählen, ohne mit meinen eigenen Lebenserfahrungen zu „erschlagen“ oder gar zu belasten.
Können Sie eigene Erfolgsgeschichten oder inspirierende Momente teilen, die Sie im Rahmen der Biografiearbeit mit Senioren erlebt haben?
Meine liebste Erfolgsgeschichte ist die mit einer sehr herausfordernden Bewohnerin, die sich immer mehr zurückzog und kaum noch in Kontakt mit ihrer Lebensumwelt in der Pflegeeinrichtung trat. Durch den Einsatz eines ätherischen Öls, das Stärke und Zuversicht fördert, erfuhr ich von ihrer Vorliebe für Waldspaziergänge. Diese waren aufgrund Ihres körperlichen Zustandes nicht mehr möglich, aber über den Riechsinn und den Duft von Weißtanne konnte sie sich an Spaziergänge im Wald erinnern und diese neu erleben. Die entspanntere Stimmung und Haltung war deutlich für alle spürbar, so dass es zu einer Teamarbeit zwischen Pflege, Betreuung und der Bewohnerin kam, die zu täglichen „Waldspaziergängen“ führte, die der Bewohnerin zu einem schönen Eintrag in ihr letztes Lebenskapitel verhalfen.
Welche Fortbildungsmöglichkeiten oder Bücher würden Sie Betreuenden oder Pflegenden empfehlen, die sich mit Biografiearbeit auseinandersetzen möchten?
In meinen Fortbildungen ist eine gute Biographiearbeit grundsätzlich die Basis, um die zu erlernenden Möglichkeiten und Kenntnisse im Umgang mit den uns anvertrauten Menschen bestmöglich umsetzen zu können. Eine gute Fortbildung im Bereich der Biographiearbeit, Biographiegeragogik vermittelt neben Wissen, Kenntnissen und praktischen Einsatzmöglichkeiten, auch Mut und Motivation, um eigene Umsetzungsmöglichkeiten zu entwickeln und Ideen für die eigene Arbeit umzusetzen. Ein Buch vermittelt oft gute Kenntnisse und erprobtes Wissen, kann aber praktische Erfahrungen nur anstoßen und nicht ersetzen. Daher empfehle ich den kollegialen Austausch, Seminare und praktisches Arbeiten, um den eigenen Weg in der so spannenden und bereichernden Biographiarbeit zu entdecken und zu gehen.
Qualifizierung Biografiegeragogik
Erlebtes und Erlerntes aus der Vergangenheit prägen das Hier und Jetzt. Gewinnen Sie Einblicke in die Lebensleistungen und Potentiale der Menschen, die Sie begleiten. Entdecken Sie ungeahnte Ressourcen und ermöglichen Sie eine bewusste Auseinandersetzung mit der Gegenwart sowie eine bedürfnisorientierte Zukunftsgestaltung.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft? Was haben Sie für Pläne?
Ich wünsche mir, noch mehr Wissen und Freude an der Arbeit mit anderen Menschen teilen zu können. Als nächstes Ziel werde ich meine Ausbildung zum Aromaexperten hoffentlich erfolgreich beenden.
Herzlichen Dank, Herr Lange!!!