Krimigeschichten für Senioren. Ein geplanter Überfall

In unserer heutigen Krimigeschichte hat das Opfer selbst den entscheidenden Hinweis auf die Täterin oder den Täter. Lesen Sie die Geschichte vorher einmal durch und entscheiden Sie, ob sie sich für Ihre Zielgruppe eignet. Wir wünschen viel Freude beim Vorlesen und Zuhören!

Krimigeschichten für Senioren. Ein geplanter Überfall

Rosa und Egon sind auf dem Nachhauseweg. Sie waren zusammen im Kino und schlendern zu Fuß durch die Nacht nach Hause. Es ist kalt, aber trocken. Der Mond scheint von einem sternenklaren Himmel herab und schenkt ihnen etwas Licht in den dunklen Gassen. Rosa schaudert es ein wenig. Es sind nicht alle Straßenlaternen an und so hell ist der Mond auch nicht. Oder bringt sie die Unruhe noch aus dem Film mit? Hitchcock am späten Abend gehört gewiss nicht zu den besten Methoden um danach schnell einschlafen zu können. Manchmal machte einem ja nach solchen Filmen die Fantasie zu schaffen.
Schon im Kino hatte sie sich unwohl gefühlt. Es waren komische Gestalten im Saal gewesen. Das kann aber auch daran liegen, dass Egon und sie lange nicht mehr zusammen aus waren. Vielleicht ist sie einfach nicht mehr so viele Menschen gewohnt. Rosa versucht sich zu beruhigen.
Sie gehen an einer dunklen, nicht beleuchteten Hecke vorbei. Hat sich dort gerade ein Zweig bewegt? Hören kann sie nichts ungewöhnliches. Rosa muss sich unbedingt von den komischen Gedanken ablenken. So lang ist der Weg nach Hause nicht mehr. Sie denkt an den Film. An die Frau, die hinter ihnen saß. Sie kam ihr besonders seltsam vor. Rosa kann aber nicht benennen, was genau dieses Gefühl in ihr ausgelöst hatte. Was ihr komisch vorgekommen war, war, dass die Frau sich direkt hinter Rosa gesetzt hatte. Dabei waren rundum noch so viele Plätze im Kinosaal frei gewesen. Und Rosa ist nicht gerade klein. Tausende solcher Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Sie ist nervös.
Rosa schaut Egon an. Dieser nimmt schnell wahr, was in seiner Frau vor sich geht und lächelt sie liebevoll an. Er nimmt ihre Hand. “So gruselig ist es nur im Film”, flüstert er ihr ins Ohr. “Und vielleicht auf dem Land… aber doch nicht hier in der Stadt.” Egon zwinkert ihr zu.

Rosa lächelt ihn milde an. Und atmet tief durch. Als sie gerade sagen will, dass Egon recht hat und das komische Gefühl bestimmt nur von den dunklen Filmszenen herrührt, spürt sie plötzlich einen stechenden Schmerz an der rechten Körperseite, der sie zu Boden gehen lässt. Einen kurzen Augenblick lang spürt sie gar nichts. Dann Egons Arm, der ihr hochhelfen will. In der Ferne sieht sie eine dunkle Gestalt weglaufen. Sie steht vollkommen unter Schock und braucht ein paar Sekunden, um wieder ganz zu sich zu kommen. Rosa greift geistesgegenwärtig in ihre rechte Manteltasche. “Die Goldkette meiner Mutter!”, ruft sie völlig verzweifelt. Egon schaut sie fragend und zugleich besorgt an. Er legt seinen anderen Arm um sie. “Jetzt setz dich doch erst einmal sicher hin. Hast du Schmerzen? Hat er dir was getan?” Die Sorgen um seine Frau stehen ihm ins Gesicht geschrieben.

Rosa denkt an die verschwundene Goldkette. Sie ist den Tränen nahe. Die Kette hatte ihr Mutter schon von ihrer eigenen Mutter zur Hochzeit geschenkt bekommen. Rosa hat sie dann zu ihrer Hochzeit mit Egon bekommen. Sie war damals zu Tränen gerührt gewesen. Die Kette ist etwas ganz besonderes für sie. Rosa hat sie immer nur zu ganz besonderen Anlässen getragen. Wie heute beispielsweise, weil sie so lange nicht mehr zusammen ausgegangen sind. Und dann geschah es. Mitten in der Vorstellung fiel ihr die Kette plötzlich in den Schoß. Der Verschluss schien kaputt gegangen zu sein. Im Kino konnte Rosa aber nicht erkennen, worin genau das Problem bestand. Sie hat sie einfach schnell in ihre Manteltasche gesteckt. Und jetzt ist sie weg. Rosa ist verzweifelt. Sie schaut in den Nachthimmel. Eine Träne läuft über ihre Wange. Bis plötzlich … Ja, natürlich! Warum ist sie da nicht eher drauf gekommen? Rosa fällt es sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen. Auf einmal scheint alle das Erlebte einen Sinn zu machen. Sie ist nicht zu unrecht verunsichert gewesen!

“Das war kein Zufall mit der Kette!”, Rosa wendet ihren Blick wieder vom Nachthimmel weg zur Seite. Sie schaut Egon an. Ihre Stimme klingt aufgeregt. Sie bebt.
“Wie bitte?”, Egon kann ihr auf die Schnelle nicht ganz folgen.

“Das war kein er.” Sie schluckt angestrengt. Rosa sieht nun wieder völlig klar. Dafür schaut Egon immer verzweifelter drein. Er versteht gar nichts mehr und macht sich große Sorgen um die Gesundheit seiner Frau. “Ich weiß, wer das war! Ich weiß, wer meine Kette gestohlen hat!”
Dieses sichere Auftreten seiner Frau kennt er. Er versucht, sich zu beruhigen. Zusammen setzen sie sich auf den Bordstein. Egon nimmt Rosas Hände in seine. “Ich habe doch heute Abend die Goldkette meiner Mutter umgehabt. Die, die sie mir zu meiner Hochzeit geschenkt hat. An der der Verschluss während der Vorstellung kaputt gegangen ist.” Rosas Stimme klingt vor Aufregung ganz hoch. Egon nickt zaghaft. “Ich habe sie in meine Manteltasche gelegt. Ich wusste ja nicht, dass das ein Trick war.” Rosa macht eine Pause.
“Das muss die Frau hinter uns gesehen haben. Sonst war niemand mehr im Kino. Und so zielstrebig, wie der Dieb, oder in dem Fall die Diebin, gerade in meine rechte Manteltasche gegriffen hat, musste er oder sie genau wissen, wo er wertvolle Beute findet! Vielleicht wollte sie sie mir während der Vorstellung schon stehlen und sie ist versehentlich in meinen Schoß gefallen. Wenn ich recht überlege, habe ich kurz vorher in meinem Nacken ein Kitzeln wahrgenommen. Ich dachte, dass sei die Zugluft im Saal gewesen und habe mir nichts weiter dabei gedacht.” Rosas Wangen sind vor Aufregung ganz rot. Egon braucht einen Moment, um gedanklich mitzukommen. Er liebt seine Frau für ihre Scharfsinnigkeit.
Alles, was sie gesagt hat, macht Sinn. Und ja, der Dieb, oder die Diebin, wusste, wo er oder sie etwas finden würde. Das ist ja wahnsinnig schnell gegangen gerade.

Rosa ist schon wieder einen Gedanken weiter. “Die war mir auf den ersten Blick unsympathisch. Ich habe mich schon gefragt, warum sie sich unbedingt hinter uns setzen musste. Wo doch so viele andere Plätze frei waren. Und dann brauchte sie auch so ewig lange, bis sie hinterher ihre Jacke angezogen hat.” Sie dreht sich um und schaut ihren Mann an. Egon erschrickt. Rosa hat ganz große Augen. “Sie hat ganz gewiss beobachtet, wie ich die Kette in meine Manteltasche gelegt habe! Und dann ist sie uns bis hierher gefolgt!” Ihre Stimme bebt verzweifelt. Sie hält einen Augenblick inne. “Komm Egon, wir gehen zur Polizei!”
Egon ist müde und möchte gerade vorschlagen, doch morgen früh gleich nach dem Frühstück zu gehen, als er innehält. Rosa wäre sowieso nicht zu stoppen. In der Aufregung bekäme er sie in keinem Fall nach Hause oder gar ins Bett. Also drehen sie um und gehen zur Polizeiwache.
Und tatsächlich. Anhand von Rosas Beschreibungen und des Tathergangs kann die Polizei die Täterin schon am nächsten Morgen festnehmen. Überglücklich und dankbar hält Rosa die Kette ihrer Mutter in ihren Händen…

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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