Einschlafgeschichten für Erwachsene

Im Gespräch mit Christian Heidemeyer

Lieber Herr Heidemeyer, Sie haben Psychologie studiert und eine Internetseite mit Einschlafgeschichten für Erwachsene ins Leben gerufen. Können Sie sich kurz vorstellen und erklären, wie es dazu kann?

Ich bin Christian und habe vor einigen Jahren mein Studium der Psychologie an den Universitäten Münster und Madrid abgeschlossen.



Erfreulicherweise wird es immer populärer, Schlaf einen großen Wert beizumessen. Denn gesunder Schlaf ist extrem wichtig für unsere Gesundheit, sowohl körperlich als auch psychisch.
Leider haben jedoch viele Menschen, auch Erwachsene, Probleme damit, einzuschlafen. Eine einfache, bewährte Methode, um einzuschlafen, sind und bleiben Geschichten.
Da wir gesehen haben, dass die meisten Gutenachtgeschichten, die man im Internet findet, eher für Kinder als für Erwachsene geeignet sind, haben wir n8geschichte.de gegründet.

Wie wichtig sind Einschlafrituale für Menschen? Wie ändert sich das im Verlauf des Lebens?

Einschlafrituale sind eine Routine und Routinen sind wichtig für den Menschen. Kleine Kinder wissen nicht, wann und wieso sie ins Bett müssen. Aber ein Einschlafritual ist etwas Schönes, auf das sich die Kinder freuen können, auch wenn sie eigentlich noch nicht ins Bett wollen. Mit dem Erwachsenwerden verlieren wir diese Einschlafrituale oftmals, obwohl diese auch für uns wichtig sind. Rituale und Routinen brauchen weniger Kapazitäten im Gehirn als bewusste Entscheidungen. Das heißt, durch eine Routine kann unser Kopf vorm Schlafengehen mal ein wenig abschalten, wodurch dann auch das Einschlafen vereinfacht wird.
Besonders wichtig werden diese Routinen, wenn unserem Alltag diese insgesamt fehlen. Das kann in einer Situation wie jetzt, durch Corona, der Fall sein oder aber bei älteren Menschen. Viele fahren nicht zur Arbeit und sind den ganzen Tag zuhause. Das heißt das Zuhause kann auch noch schnell den Feierabendcharakter verlieren. Bei älteren Menschen kann die Situation eine ähnliche sein. Auch sie sind oftmals den ganzen Tag zuhause und haben möglicherweise wenige Routinen. Eine Routine vorm Einschlafen kann da Ruhe und Sicherheit vermitteln.

Welche Rolle spielen Einschlafrituale für Menschen mit Demenz? Gibt es Besonderheiten bei Einschlafritualen für Menschen mit Demenz?

Viele Menschen mit Demenz leiden unter Schlafstörungen. Um diese zu mildern, können Schlafrituale helfen, da dadurch Sicherheit vermittelt wird. Außerdem kann man ihnen dadurch eine Möglichkeit bieten, sich auf das Schlafen einzurichten ohne dass sie überfordert werden.
Die Besonderheit liegt auch genau in der Überforderung. Kein Mensch sollte sich durch Einschlafrituale überfordern, da dies das Gegenteil von dem ist, was man erreichen möchte. Allerdings ist Menschen ohne Demenz eventuell gar nicht so bewusst, was überfordernd sein kann. Ein vermutlich eher offensichtliches Beispiel wäre das Geschichtenlesen. Selbst zu lesen kann für gesunde Menschen ein schönes Ritual sein, da wir uns dabei aufs Lesen fokussieren müssen und dadurch an nichts anderes denken können. Lesen ist in dem Fall also Entspannung. Menschen mit Demenz haben allerdings oft Probleme beim Lesen, was Anstrengung und Überforderung zur Folge hat. Entspannend wäre in dem Fall also eher das Vorlesen einer Geschichte als das Selberlesen.

„Einschlafgeschichten“ verbindet man in der Regel eher mit Kindern als mit Erwachsenen bzw. Senioren. Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie von den Einschlafgeschichten für Erwachsene erzählen?

In gewisser Weise nutzen viele Erwachsene Geschichten kurz vorm Einschlafen. Allerdings befinden diese sich oftmals auf dem Fernseher und sind eben nicht unbedingt Einschlafgeschichten, die uns ein positives Gefühl vermitteln. Ich habe eben bereits beschrieben, dass es gesunde Menschen entspannen kann zu lesen, da man sich darauf fokussieren muss. Das ist beim Fernsehen nicht der Fall. Wenn wir einen Film oder eine Serie gucken, ist es eine Leichtigkeit sich abzulenken. Sei es etwas zu Essen, der Blick aufs Handy oder Gespräche mit anderen. Und selbst wenn wir uns darauf konzentrieren, ist ein Film oder eine Serie um ein Vielfaches komplexer als eine gelesene Geschichte. Eine Geschichte hat keine Geräusche und bewegte Bilder, welche oftmals eher anregend als entspannend wirken.
In unserer Gesellschaft gibt es leider sehr viele Menschen, die unter Schlafproblemen leiden. Die Prävalenz in Deutschland schwankt zwischen 5 und 25%, aber selbst, wenn es nur 5% sind, sind das 4 Millionen Menschen. Daher habe ich bisher durchgehend positive Reaktionen auf die Website erlebt. Im ersten Moment waren einige ein wenig überrascht, dass es bei den Gutenachtgeschichten um Geschichten für Erwachsene geht, aber daraufhin folgte meist ernstgemeintes Interesse.

Wie wählt man die „richtige“ Einschlafgeschichte aus? Gibt es Kriterien für die Auswahl?

Das „wie“ ist einfach zu beantworten, lesen, lesen und nochmal lesen. Wir haben bestimmt bereits hunderte Stunden einfach nur mit Lesen verbracht, auf der Suche nach der idealen Geschichte.
Eine ideale Geschichte sollte beispielsweise auf keinen Fall zu lang sein. Die längste Geschichte auf unserer Website ist bisher „Die kleine Meerjungfrau“ mit 25 Minuten und tendenziell suchen wir nach deutlich kürzeren Geschichten. Die Länge ist so relevant, weil wir ja möchten, dass Menschen dadurch natürlich entspannter aber eben auch schneller einschlafen können. Ein Buch beispielsweise kann so fesselnd sein, dass man sich darin stundenlang verliert. Unsere Geschichten sollen genauso fesselnd sein, dass man in die Entspannung kommt, weil man sich aufs Lesen fokussiert, aber eben nicht zu lang, damit man diese Entspannung dann auch zum Einschlafen nutzen kann. Zudem sollten unsere Geschichten auch ein schönes Gefühl auslösen. Es gibt mehr Geschichten, als man denkt, bei denen einem hinterher oder beim Lesen ein sehr negatives Gefühl überkommt. Das möchten wir natürlich unter allen Umständen verhindern. Im Idealfall hat eine Geschichte sogar eine Lehre, über die wir dann noch kurz beim Einschlafen nachdenken können und die vielleicht unser Leben ein kleines Stück verschönert.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft? Was haben Sie für Pläne?

Das optimale Szenario wäre wohl, dass die Menschen signifikant besser einschlafen. Das hätte wohl nicht nur positive Auswirkungen auf unser aller Wohlbefinden, sondern am Ende auch auf die hohen Kosten, die in unserem Gesundheitssystem mit schlechtem Schlaf verbunden sind.
Wenn diese eingesparten Mittel jetzt auch noch für einen besseren Zweck eingesetzt werden… Dann hätte n8geschichte.de das Ziel erreicht!

Herzlichen Dank, Herr Heidemeyer!!!

Zur Internetseite: n8geschichte.de

Eine große Auswahl an entspannenden Geschichten zum Vorlesen für Senioren und Menschen mit Demenz finden Sie auch in unserer Rubrik Entspannungsgeschichten.

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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