Ein Seniorenheim-Podcast

Im Gespräch mit Julia Gruber
Liebe Frau Gruber, wir freuen uns sehr, Sie als Interviewpartnerin bei Mal-alt-werden.de begrüßen zu dürfen! Stellen Sie sich und Ihren Podcast doch bitte einmal kurz vor.
Vielen lieben Dank, dass ich mich und mein Projekt vorstellen darf. Ich heiße Julia Gruber, lebe in München und bin Schauspielerin, (Synchron-)Sprecherin, Moderatorin und Redakteurin. Der ein oder andere kennt mich vielleicht aus Serien wie „Sturm der Liebe“, „In aller Freundschaft“ oder „Die Rosenheim Cops“ – oder hat mich schon in dem einen oder anderen Hörbuch oder in Amazon Prime-Filmen/Netflix-Serien gehört. „ICH BIN DA – Der Seniorenheim“-Podcast ist mein erster Podcast und mein absolutes Herzensprojekt. Ich bin Host und spreche in ganz Bayern mit Menschen, die in Seniorenheimen bzw. Stiften leben. Sie erzählen von ihrem Leben. Und da jeder Mensch einzigartig ist, ist auch jede Folge einzigartig. Jeden Freitag kommt eine neue Folge, mit einem neuen Gast. Zu hören auf Spotify und YouTube. Meine Gäste sind aktuell zwischen 57 und 102 Jahre alt. Auf Instagram und Facebook gibt es jeweils eine Page dazu, dort werden die Gäste mit einem Foto und Kurztext vorgestellt.
Was hat Sie inspiriert, den Podcast „ICH BIN DA“ ins Leben zu rufen? Was möchten Sie mit Ihrem Podcast langfristig erreichen?
Schon als Jugendliche bin ich in meiner Heimat mit Bewohner*innen des dortigen Seniorenheims spazieren gegangen. Während meines Schauspielstudiums drehte ich u.a. eine Dokumentation über Alzheimer in der Partnerschaft. „Wenn das Leben leise in Vergessenheit gerät“ (YouTube). Später organisierte ich mit Kolleg*innen Lesungen in Seniorenheimen. Ich finde, dass jeder Mensch eine eigene, individuelle Lebensgeschichte hat, die es wert ist, gehört zu werden. Und zudem habe ich das Gefühl, dass die ältere Generation eher in Vergessenheit gerät. Es gibt so viele Menschen, die ein langes Leben hinter sich haben, in Seniorenheimen leben und kaum Besuch der eigenen Familie bekommen oder vielleicht sogar niemanden mehr haben, nicht einmal mehr Freunde. Ich schenke diesen Menschen Gehör.
Was war das bewegendste Erlebnis, das Sie während eines Interviews hatten? Gibt es eine Geschichte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Das kann ich so nicht sagen, denn bisher sind für mich alle Geschichten bewegend. Mathilde (99) hat unter anderem einen Bombengriff in Stuttgart überlebt und berichtet detailliert davon. Gerlinde hat physische und psychische Gewalt in zwei Ehen erlebt. Angelika ist 57 Jahre alt und musste aufgrund einer Nervenerkrankung von heute auf morgen in ein Seniorenheim ziehen. So hat jeder sein eigenes Schicksal…
Wie wählen Sie die Bewohner*innen aus, die in Ihrem Podcast zu Wort kommen? Wie bereiten Sie sich auf ein Interview vor?
Ich habe über 100 Einrichtungen in Bayern angeschrieben – und da haben sich dann einige gemeldet. Aber es dürfen gerne noch mehr werden. 🙂 Die Einrichtungsleitungen / Zuständigen haben sich daraufhin bei mir gemeldet und meinten, sie hätten da ein oder auch mehrere Bewohner*innen, die kognitiv fit sind und mitmachen möchten. Darüber hinaus war ich schon hier und da im Radio bzw. in der Zeitung wegen des Podcasts und darauf haben sich auch ein paar Menschen gemeldet, die meinten, sie hätten da eine Mutter oder eine ehemalige Nachbarin, die was zu erzählen hätte.
In den meisten Fällen weiß ich nicht, wer mich erwartet. Wenn der Termin fürs Interview steht, gehe ich in die Einrichtung, bringe mein Equipment mit (zwei Ansteckmikros, eins für mich, eins für den Bewohner / die Bewohnerin) und dann lass ich mich überraschen, mit wem ich mit unterhalten darf.
Welche Themen sprechen die Senior*innen am liebsten an? Was hat Sie während der Gespräche über das Leben und Altern besonders beeindruckt?
Ich will, dass der Podcast nah, lebensbejahend, ehrlich und bewegend ist. Daher frage ich hier und da nach, wie sich die Person fühlt, wenn sie an XY zurückdenkt. Über die Kindheit, den Beruf und die Partnerschaft können und wollen alle erzählen. Was ich zudem meist frage: „Gibt es etwas, was du in deinem Leben hättest anders machen wollen bzw. gibt es etwas, was du bereust?“. Und am Ende folgt immer die Fragen nach dem Lebenstipp der Bewohnerin / des Bewohners. Bisher habe ich übrigens nur unterschiedliche Lebenstipps bekommen. Was ich definitiv sagen kann: Jeder dieser Menschen hat Traumata erlebt, trotzdem sind sie meist alle zufrieden.
Wie sind die Reaktionen auf Ihren Podcast und wen erreichen Sie? Gibt es da Unterschiede zwischen den Einrichtungen, Bewohner*innen, Angehörigen, jungen und alten Menschen?
„So cool, dass du das machst, Julia!“ – höre ich ganz oft. In erster Linie aus meinem Bekanntenkreis bzw. von meinen Fans/Followern auf Instagram und Facebook. Die Zuständigen der Einrichtungen, die mir die Bewohner*innen vorgeschlagen haben, sind ebenfalls begeistert. Jedoch möchte ich noch viel mehr Menschen erreichen. Wie gesagt: All diese Menschen haben, wie wir alle, ein Leben hinter sich – mit Kindheit, Jugend, Partnerschaften, Elternzeit, Berufen, Erlebnissen –, das es wert ist, gehört zu werden. Das sehen übrigens meine Gäste ganz oft nicht so. „Ich kann dir schon was erzählen, aber wen soll das interessieren? Ich bin doch nichts Besonderes und nur ein alter Mensch…“. Solche Worte lassen mich nachdenklich werden.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft – gibt es neue Ideen oder Projekte, die Sie verfolgen möchten?
„ICH BIN DA – Der Seniorenheim-Podcast“ ist ein langfristiges Projekt. Daher freue ich mich über Sponsoren. Und wenn es nur eine Folge ist. Ich fahre in ganz Bayern umher, um die Menschen aufzuzeichnen. Im Anschluss folgen Schnitt und Veröffentlichung. Außerdem können sich die Leser*innen bei mir melden, wenn sie Bewohner*innen von Seniorenheimen bzw. Stiften kennen, die kognitiv fit sind, in Bayern leben und offen sind, von ihrem Leben zu erzählen. ichbinda_podcast@gmx.de
Und: selbstredend freue ich mich über neue Hörer*innen des Podcasts auf Spotify und YouTube. Andere Projekte: Ich schreibe gerade mein erstes Drehbuch, was aber thematisch nichts mit Senior*innen zu tun hat.
Herzlichen Dank, Frau Gruber!!!