Die soziale Betreuung gelassen und kompetent leiten

Ein Interview mit Marie-Claire Herbst

Liebe Frau Herbst, wir freuen uns sehr, Sie als Interviewpartnerin bei Mal-alt-werden.de begrüßen zu dürfen! Stellen Sie sich unseren Lesern doch bitte einmal kurz vor.

Vielen lieben Dank für die Einladung zum Interview.
Mein Name ist Marie-Claire Herbst, ich bin 36 Jahre alt und lebe in Dortmund. Nach meiner Ausbildung zur Ergotherapeutin habe ich mich weitergebildet und bin nun seit 10 Jahren Fachergotherapeutin für Demenz nach Schaade. Die Arbeit mit Menschen mit Demenz liegt mir besonders am Herzen, weshalb ich mich in diesem Bereich spezialisiert habe.
Ich habe viele Jahre lang den sozialen Dienst in einer Seniorenpflegeeinrichtung geleitet. Diese Position ergab sich für mich fast schon wie von selbst: Ursprünglich hatte ich mich als Ergotherapeutin in einer Seniorenresidenz beworben, doch während des Bewerbungsgesprächs wurde mir die Leitung der Sozialen Betreuung angeboten. Diese Chance konnte ich einfach nicht ausschlagen!
Der Beginn meiner Zeit in dieser Position war großartig, da ich durch die Neueröffnung der Einrichtung die Möglichkeit hatte, den sozialen Dienst von Grund auf aufzubauen. Es war eine herausfordernde, intensive, aber auch äußerst bereichernde Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Dennoch hätte ich mir manchmal mehr Unterstützung gewünscht, insbesondere bei der Vorbereitung auf die administrativen, organisatorischen und gesetzlichen Aspekte. Aus diesem Grund bin ich auch gerne als Dozentin in der Online-Qualifikation zur Leitungskraft in der sozialen Betreuung tätig. Auf diese Weise kann ich mein Wissen gezielt weitergeben und angehenden Leitungskräften fachliche Unterstützung bieten.



Neue Technologien, anspruchsvollere Bewohnende, Umbrüche in der Administration. Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die soziale Betreuung in Seniorenheimen?

Die größten Herausforderungen für die soziale Betreuung in Seniorenheimen sind vielfältig.
Die Ansprüche der Bewohnenden steigen, da sie heute oft länger aktiv und selbstbestimmt leben möchten. Gleichzeitig müssen wir als Betreuungseinrichtungen flexibel auf Umbrüche in der Administration reagieren, um eine kontinuierliche Qualität in der Betreuung sicherzustellen.
Meiner Meinung nach sind viele Einrichtungen noch nicht ausreichend darauf vorbereitet, den Generationswechsel innerhalb ihrer Bewohnerschaft zu begleiten. Leitungskräfte sollten sich gemeinsam mit ihren Teams zusammensetzen und ergründen, welche Bedürfnisse die “neuen” Senioren haben und wie sie diesen gerecht werden können. Dabei ist es hilfreich, über den Tellerrand hinauszuschauen, da nicht immer traditionelle Aktivitäten wie Singkreise für alle Bewohnenden ansprechend sind.
Die Umstellung von handschriftlicher zu elektronischer Dokumentation, oft verbunden mit dem Einsatz der strukturierten Informationssammlung (SIS), ist ein großes Thema in vielen Einrichtungen. Viele langjährige Mitarbeiter fühlen sich dabei überfordert und unsicher im Umgang mit der neuen Technologie, was zu einem Kampf gegen die Zeit und letztendlich zu Lasten der Bewohnenden führen kann. Die Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und Betreuungspersonal, insbesondere in der Kommunikation, stellt hierbei oft eine große Herausforderung dar.
Sie haben neue Technologien angesprochen: Die größte Herausforderung besteht darin, sich inmitten des riesigen Marktes der Möglichkeiten zurechtzufinden. Es gibt eine Vielzahl von Medien und Materialien, die oft mit hohen Kosten verbunden sind und nicht leicht zu beschaffen sind. Gleichzeitig sind Erfahrungswerte und Evidenzen zu den neuen Technologien noch rar. Die Entscheidung für oder gegen eine neue Technologie zu treffen, gestaltet sich daher schwierig. Mein Rat lautet daher, die Bedürfnisse Ihrer Bewohnender und Ihrer Einrichtung genau zu analysieren und den Markt entsprechend zu prüfen. Welches Produkt passt am besten zu Ihren Senioren? Was kann damit erreicht werden? Ist es benutzerfreundlich? Sind die Anschaffungskosten gerechtfertigt? Und wie steht es um die Wartung?

Welche Herausforderungen werden Ihrer Meinung nach in der Zukunft besonders relevant?

In der Zukunft werden bestimmte Herausforderungen in der sozialen Betreuung von Seniorenheimen besonders relevant werden.
Mit einer alternden Bevölkerung steigen auch die Ansprüche an die Betreuung und Pflege. Senioren wollen zunehmend selbstbestimmt und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Die Herausforderung besteht darin, flexible und individuelle Betreuungskonzepte anzubieten, die diesen Bedürfnissen gerecht werden.
Die Digitalisierung wird auch im Bereich der Altenpflege eine immer größere Rolle spielen. Neue Technologien wie Robotik, Sensorik und Telemedizin können die Pflege und Betreuung verbessern, stellen aber gleichzeitig eine Herausforderung dar, insbesondere für ältere Menschen und das Personal, das diese Technologien nutzen muss.
Der bereits bestehende Mangel an Fachkräften in der Altenpflege wird sich weiter verschärfen. Dies stellt nicht nur eine Belastung für das vorhandene Personal dar, sondern kann auch die Qualität der Betreuung beeinträchtigen. Die Rekrutierung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter wird daher eine zentrale Herausforderung sein.
Angesichts knapper werdender finanzieller Ressourcen und steigender Kosten für die Pflege und Betreuung wird ein effizientes Ressourcenmanagement immer wichtiger. Die Herausforderung besteht darin, trotz begrenzter Mittel eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen und innovative Finanzierungsmodelle zu entwickeln.

Mitarbeitende in der Altenpflege müssen sich ständig neuen Herausforderungen stellen. Die Außenbedingungen sind nicht immer ideal. Wie schafft man es trotz Widrigkeiten, ein Team zu motivieren und den Zusammenhalt zu stärken?

In der Altenpflege sind Mitarbeitende täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert, sei es personell, organisatorisch oder aufgrund der individuellen Bedürfnisse der Bewohnenden. Ein starkes Team und ein ausgeprägter Zusammenhalt sind hierbei von entscheidender Bedeutung. Um trotz der Widrigkeiten zu motivieren und den Teamgeist zu stärken, ist es unerlässlich, auf Transparenz und Ehrlichkeit zu setzen. Offene Kommunikation und das Teilen von Informationen sind dabei grundlegend, um ein gemeinsames Verständnis für die Situation zu schaffen. Wertschätzung für die Arbeit jedes einzelnen Mitarbeitenden spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, ebenso wie das Feiern von gemeinsamen Erfolgen. Darüber hinaus sollten regelmäßige Teambesprechungen und Fortbildungen angeboten werden, um den Zusammenhalt zu fördern und das Team für neue Herausforderungen zu stärken. Durch diesen offenen und ehrlichen Umgang miteinander können wir gemeinsam besser auf die täglichen Herausforderungen reagieren und als Team wachsen.

Welche Kriterien sind Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um Bewohnenden einen ansprechenden Aktivitätenmix anzubieten? Welche Angebote führen Sie selbst am liebsten durch?

Bei der Zusammenstellung eines vielseitigen Aktivitätenangebots für Bewohnende spielen verschiedene Kriterien eine wichtige Rolle. Neben der Berücksichtigung individueller Interessen und Fähigkeiten sollten auch kulturelle, soziale und körperliche Aspekte berücksichtigt werden. Es ist ratsam, eine breite Palette an Angeboten zu schaffen, die sowohl kognitive als auch motorische Fähigkeiten herausfordern. Dabei ist es sinnvoll, bewährte Aktivitäten in den Wochenplan aufzunehmen, aber auch durch neue Angebote und besondere Highlights die Neugier der Bewohnenden zu wecken.
Persönlich liebe ich es, gemeinsam mit den Bewohnern zu singen oder zu tanzen (Sitztanz), und ich genieße auch die gemeinsamen Stunden in Nachtcafés. Zudem führe ich auch gern individuelle Angebote mittels basal aktivierender Stimulation durch, insbesondere bei Menschen mit schwereren Einschränkungen.

Selbstfürsorge, Achtsamkeit, die Worte sind in aller Munde. Wie schafft man es, als Leitungskraft in Balance zu bleiben?

Als Leitungskraft ist es entscheidend, sich selbst nicht zu vernachlässigen und für eine gesunde Work-Life-Balance zu sorgen. Nur, wenn es mir selbst gut geht, kann ich gut für andere sorgen! Selbstfürsorge und Achtsamkeit sind keine leeren Worte, sondern wichtige Prinzipien, um langfristig leistungsfähig zu bleiben. Regelmäßige Pausen, Reflexionsphasen und interdisziplinärer Austausch können dabei helfen, Belastungen besser zu bewältigen und im Gleichgewicht zu bleiben.

Was würden Sie jemandem raten, der überlegt, die Leitung der sozialen Betreuung in einem Seniorenheim zu übernehmen. Welche Eigenschaften sollte er oder sie mitbringen?

Für jemanden, der die Leitung der sozialen Betreuung in einem Seniorenheim übernehmen möchte, sind verschiedene Eigenschaften von Bedeutung. Neben fachlicher Kompetenz und Erfahrung im Bereich der Altenpflege ist vor allem Empathie und Einfühlungsvermögen im Umgang mit den Bewohnenden und Mitarbeitenden wichtig. Flexibilität, Organisationsgeschick und eine positive, lösungsorientierte Einstellung sind ebenfalls entscheidend, um den vielfältigen Herausforderungen des Berufsalltags gerecht zu werden.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft? Was haben Sie für Pläne?

Ich erhoffe mir eine verstärkte Wertschätzung für die Altenpflege, ein Umdenken sowohl in der politischen Landschaft als auch in der Gesellschaft sowie eine positivere Darstellung des Alterungsprozesses in den Medien.
Momentan schreibe ich nebenberuflich meine Bachelorarbeit im Studienfach Gerontologie und freue mich darauf, in den kommenden Wochen dieses Studium abzuschließen. Anschließend plane ich, meine Freizeit wieder mehr der Familie und Freunden und weniger dem Schreibtisch zu widmen.

Herzlichen Dank, Frau Herbst!!!


Qualifizierte Leitungskraft der sozialen Betreuung

Stelleninhaber:innen im mittleren Management der stationären Altenhilfe sind darauf angewiesen Zusammenhänge zu erkennen, Akteure und ihre Rolle einschätzen zu können und Informationen selbstständig zu beschaffen. Die Qualifizierung führt an diese Kompetenzen heran und die Teilnehmer:innen tragen durch die Vorbereitung von Präsentationen, die Bearbeitung von Aufgaben und Fragestellungen aktiv zur Gestaltung des Lernprozesses bei.


Natali

© by Natali Mallek. Dipl. Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Gedächtnistraininerin, Master of Arts "Alternde Gesellschaften", Gründerin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Natali Mallek finden Sie hier. Fortbildungen mit Natali Mallek finden Sie hier.

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