Corona stellt die soziale Betreuung auf den Kopf: Welche Chancen, Perspektiven und Möglichkeiten haben wir?

Stefanie Helsper von Fortbildung mit Herz steht Rede und Antwort

Hallo Frau Helsper, Corona stellt alles auf den Kopf. Was ist Ihr Tätigkeitsfeld und wie wird es durch den Virus und die Maßnahmen beeinflusst?

Hallo Frau Mallek, tja Corona stellt tatsächlich alles auf den Kopf. Privat und beruflich. Mein berufliches Tätigkeitsfeld bestand „vor Corona“ hauptsächlich darin, mein eigenes Fortbildungsinstitut aufzubauen und gleichzeitig deutschlandweit für andere Institute als Dozentin und Referentin Fortbildungen für Betreuungskräfte zu geben. Seit Corona habe ich viel Zeit für neue Ideen, da alle Fortbildungen verständlicherweise storniert sind. Dementsprechend bin ich jetzt zu Hause bei meiner Familie und brüte neue berufliche Ideen aus.



Mit welchen Problemen und Herausforderungen sind Mitarbeiter der sozialen Betreuung aktuell in Pflegeheimen konfrontiert?
Ich kann diese Probleme und Herausforderungen ja nur erahnen, da ich durch das Besuchsverbot ja nicht mehr vor Ort sein kann. Aber ich bin im Austausch mit vielen Mitarbeitern aus der sozialen Betreuung und höre immer wieder, dass die Zeiten echt hart sind. Einmal besonders die Einsamkeit und Isolation der Bewohner zu kompensieren und trotz wachsendem Aufgabendruck immer Zeit und ein offenes Ohr zu haben, das stellt eine Herausforderung dar. Gleichzeitig herrscht die Angst, selbst mit Corona infiziert zu sein und die Senior*innen anzustecken. In manchen Einrichtungen sind „coronabedingt“ Mitarbeiter ausgefallen und diese müssen zusätzlich ersetzt werden.

Einsamkeit und Isolation ist ein zentrales Problemfeld. Wie kann die soziale Betreuung helfen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Betreuungskräfte das schaffen. Empathie und Einfühlungsvermögen ist das Handwerkszeug der Betreuungskräfte. Sie sind auch schon vor Corona die Hauptansprechpartner der Senior*innen gewesen. Ich glaube es ist jetzt besonders wichtig, den Senior*innen ganz viel Wertschätzung zu geben und ihnen ganz viel Zeit zu widmen. Liebe Betreuungskräfte, setzen Sie sich zu den Menschen, hören Sie ihnen zu, fragen Sie nach, singen Sie mit ihnen und geben Sie den Menschen das Gefühl, dass sie wichtig sind. Zeigen Sie Verständnis für ihre Nöte und halten Sie diese Situation mit ihnen aus. Begleiten Sie.

Welche anderen Möglichkeiten haben Mitarbeiter der sozialen Betreuung, um den Senioren zur Seite zu stehen?
Humor und lachen können Glücksmomente zaubern, auch in Zeiten die finster sind. Ich bin Fan davon, sich auch mal zu „entblöden“ und den Senior*innen eine heitere und lustige Atmosphäre zu zaubern. Vielleicht mal in eine andere Rolle schlüpfen. Clown, Eisverkäufer oder Schauspieler? Das hat nichts damit zu tun, dass ich die Zeiten schön spielen möchte, sondern nur mal einen kleinen Lichtblick geben möchte. Daher mein Tipp: Kitzeln Sie positive Emotionen wieder an die Oberfläche. Schaffen Sie lustige Situationen, die zum Lachen sind. Daraufhin werden Glückshormone ausgeschüttet und diese erzeugen Wohlbefinden, auch in düsteren Zeiten.
Betätigung und Beschäftigung ist das nächste Zauberwort. Auch schon vor Corona war es den Menschen in den Einrichtungen teilweise stinklangweilig. Wie wird es den Menschen jetzt ergehen, wenn kein Besuch mehr kommen darf? Oder alle Mitarbeiter die Hände voll zu tun haben, da die Arbeit nicht weniger geworden ist, aber die Anzahl der Mitarbeiter? Sorgen Sie für Beschäftigungsangebote die die Betätigung der Hände anregen: Schrauben oder Knöpfe sortieren, Wäsche falten, Geschirr abtrocknen, Holz schleifen, reichen von Nesteldecken, Fummeltunnel und Co. Probieren Sie kreative Techniken wie Drucken, Malen, Stempeln aus. Bieten Sie Möglichkeiten, dass die Senior*innen sich durch aktive Betätigung wichtig fühlen. Es muss nicht immer die „organisierte Gruppe“ sein, die Bewegungsübungen oder Gedächtnistraining durchführt. Legen Sie in diesen Zeiten den Schwerpunkt auf individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten, die dem einzelnen Spaß und Freude bereiten, die aber ohne dauerhafte Anwesenheit eines Mitarbeiters durchgeführt werden können. Und vergessen Sie dabei nicht: die Bewertung von Menschen mit Demenz entspricht nicht immer unserem Bewertungsschema. Menschen mit Demenz sind oft zufrieden, wenn sie etwas zu tun haben das ihnen Spaß macht, nicht immer muss ein Sinn darin versteckt sein.

Wie können Mitarbeiter der sozialen Betreuung mit ihren eigenen Ängsten in Bezug auf den Virus umgehen?
Ich bin fest davon überzeugt, wenn Ängste, Nöte oder Sorgen klein gesprochen werden, dann können sie richtig groß werden. Wenn diese Ängste, Nöte oder Sorgen Raum bekommen und gelebt werden dürfen, tatsächlich kleiner werden können. Man kann die Sichtweise verändern und hoffnungsvoller sein. Ich merke bei mir und auch in der Gesellschaft, dass nach der ersten Schockstarre in den Coronaanfangszeiten eine Entwicklung stattfindet, positive Seiten an Corona zu entdecken. Diese Krise ermöglicht uns auf einen neuen Blick auf das Gute. Wir können wiedererkennen, was uns ausmacht, was uns wichtig ist und was wir benötigen und brauchen. Vielleicht weil die Welt sich gerade anders dreht.
Ich wünsche jedem Mitarbeiter von Herzen sich Ängste und Zweifel zugestehen zu können, diese auch authentisch zu leben, aber auch den Blick darauf zu wenden, was positiv ist. Vielleicht hat der eine oder andere vergessen für sich selbst zu sorgen und man könnte mal nachzuspüren: „Was tut mir gut?“. Nutzen Sie diese Phase der Veränderung und besinnen Sie sich auch mal auf sich selbst.

Wenn Sie wieder Fortbildungen anbieten dürfen, worauf können sich Teilnehmer bei Ihnen freuen?
Besonders ich freue mich, wieder Fortbildungen geben zu können, ich scharre schon mit den Hufen ;-). Die Teilnehmer können sich auf eine ausgeruhte Dozentin freuen, die vor neuen Ideen sprudelt. Ich habe mir in diesen Zeiten viel Gedanken machen dürfen, was ich in meiner Methodik und Didaktik noch optimieren darf und habe tolle neue Kontakte und Kooperationen gefunden. Gerade tüftle ich am neuen Fortbildungsprogramm für 2021, es wird spannend und abwechslungsreich. Zusätzlich planen wir Webinare und ich entwickle mich in der digitalen Welt weiter.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft, was können wir aus der aktuellen Krise lernen?
Wir können für die Zukunft aus dieser Krise lernen, dass wir jetzt leben mit allen Facetten der Gegenwart. Diese sollten wir nutzen und uns entfalten in unseren Möglichkeiten. Jede Veränderung bringt etwas Gutes. In der Veränderung kommt man nicht zum Stehenbleiben. Das ist mein Wunsch für uns alle, Bewegung und Weiterentwicklung statt Stagnation und Starre. Dafür möchte ich arbeiten und Betreuungskräfte voranbringen, professionalisieren und sensibilisieren. Carpe Diem.

Herzlichen Dank, Frau Helsper!!!

Zur Internetseite: Fortbildung mit Herz

 

Natali

© by Natali Mallek. Dipl. Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Gedächtnistraininerin, Master of Arts "Alternde Gesellschaften", Gründerin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Natali Mallek finden Sie hier. Fortbildungen mit Natali Mallek finden Sie hier.

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