Angewandte Ethik in der Medizin

Die Moral nach der wir Handeln setzt sich aus Gesinnungen, Regeln, Ideen und Intuitionen zusammen. Steinvorth (1999) bezeichnet die Ethik als „die Grammatik der Moral“ und definiert die angewandte Ethik folgendermaßen:

 

„Angewandte Ethik ist die Anwendung einer Ethik oder der von ihr explizierten Regeln auf aktuelle gesellschaftliche Probleme zu deren Klärung und Lösung“.

 

Die Ethik hat einen Aufschwung

Angewandte Ethik wird heute stärker nachgefragt als zu früheren Zeiten. Unsere Gesellschaft ist von Ambivalenzen gekennzeichnet. Durch den Mangel an verbindlichen Regeln, welche die Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten erleichtern, erlebt die Ethik einen Aufschwung. Einen zweiten Grund für den Aufschwung der Ethik sieht Kuhlmey (2008) darin, dass unser Gesundheitssystem immer unübersichtlicher wird. Steinvorth (1999) begründet die hohe Nachfrage nach Ethik ähnlich und argumentiert mit der Überforderung von Menschen und Politik. Die Vielschichtigkeit der Gesellschaft hat ein nie dagewesenes Maß erreicht und der Mensch sehnt sich nach verlässlichen, „richtigen“ Handlungsempfehlungen.

Wenn Ethik sich in der Medizin immer auf Handlungsalternativen bezieht, dann ist es ihre Aufgabe zwischen Alternativen abzuwägen. Ethik muss versuchen den Schaden, den eine Handlungsweise hervorrufen kann und den mutmaßlichen Nutzen einer Handlung zu erkennen, miteinander zu vergleichen und darüber zu einer Entscheidung zu gelangen (Helmchen, Kanowski & Lauter 2005).

 

Handlungsempfehlungen

Angewandte Ethik gibt Handlungsempfehlungen und ist aus diesem Grund in der Medizin von besonderer Bedeutung. In der Medizin beruht jede Handlung auf einer Diagnose. In vielen Fällen ist das Vorgehen der Medizin nicht umstritten, in anderen Fällen sind Handlungen der Medizin moralisch umstritten und in diesen Fällen kommt die Ethik ins Spiel. Dabei gliedert sich das ethische Vorgehen in drei Stufen. Bei der ersten Stufe wird das Problem bzw. der Konflikt ausfindig gemacht und in Worte gefasst. Es werden Fragen gestellt, um die Thematik greifbar zu machen. Die zweite Stufe des ethischen Vorgehens ist das Problem aus der Perspektive von anderen Personen zu betrachten. Fragen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln des Handlungsfeldes werden beleuchtet. Die dritte und letzte Stufe des ethischen Vorgehens befasst sich mit der Ermittlung von konsensfähigen Entscheidungen. Bis eine Entscheidung gefunden wird, die als tragbar erscheint, werden mögliche Vorgehensweisen bzw. Handlungen diskutiert. Dabei werden vor allem die Konsequenzen, die diese mit sich bringen, beleuchtet und alternative Handlungsmöglichkeiten gesucht (Kuhlmey 2008).

Letztlich darf man nicht davon ausgehen, dass es bei ethischen Debatten „eine Wahrheit“ bzw. „ein richtiges Ergebnis“ gibt. Trotzdem ist es wichtig, dass sie geführt werden. Wenn Standpunkte, Blickwinkel, Konflikte und Differenzen von verschiedenen Medizinern, Pflegenden, Kranken und Angehörigen offen gelegt werden, ist schon viel gewonnen. Wenn innerhalb des Prozesses ein gemeinsames Verständnis entsteht oder sogar eine geteilte Moralvorstellung, dann ist dies umso begrüßenswerter (Kuhlmey 2008).

 

Ethisch relevante Felder der Medizin

 

Es gibt einige Felder der Medizin, in denen besonders intensiv über richtige und falsche Handlungsweisen diskutiert wird. Beispiele hierfür sind die Stammzellenforschung und die Pränataldiagnostik. Auch in Feldern der Altersmedizin (bzw. in Feldern, die sich mit der Altersmedizin überschneiden, sind solche Felder vertreten), in denen ethische Debatten besonders intensiv geführt werden. Beispiele für solche Felder sind künstliche Ernährung, Sterbehilfe, Schmerztherapie oder auch die später in dieser Arbeit als Beispiel aufgeführte Selbstbestimmung bei Demenz (Kuhlmey 2008).

Vor eine besondere Herausforderung werden Ärzte (und Pflegende) auch durch den Anstieg der chronischen Erkrankungen gestellt. Eine grundlegende Verbesserung oder Heilung ist bei vielen chronischen Erkrankungen nicht möglich. Es müssen Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt angemessen sind. Welche Maßnahme macht das Leben des Patienten gelungener (Kuhlmey 2008)? Wie geht der Arzt damit um, dass er nicht heilen kann?

 

4 moralische Prinzipien

Beauchamp und Childress (2001) haben 4 moralische Prinzipien für das medizinische und pflegerische Handeln herausgearbeitet. Bei dem ersten Prinzip stehen die Autonomie und die Selbstbestimmung des Kranken im Mittelpunkt, bei dem zweiten Prinzip das Unterlassen von Handlungen, die zu einem Schaden führen, bei dem dritten die Heilung der Krankheit und bei dem vierten die Gerechtigkeit. Jedes dieser Prinzipien klingt intuitiv logisch, wirft aber bei Umsetzung und  Anwendung an konkreten Beispielen eine Reihe von Fragen  auf.

Quellen:

Beauchamp, T.L., Childress, J.G. (2001): Principles of Biomedical Ethics. New York: Oxford University Press.
Birnbacher, D. (1999): Ethische Probleme der Rationierung im Gesundheitswesen. In: Brudermüller, G. (Hrsg): Angewandte Ethik und Medizin. Würzburg: Königshausen und Neumann.
Brockhaus (2005): Der Brockhaus. In einem Band. Jubiläumsedition 2005. 11. Auflage.
Leipzig: F.A. Brockhaus.
Brunner, H. (2001): Gesundheitsökonomie und Altersrationierung- (k)ein Thema in Deutschland. In Möller, P. (Hrsg.): Die Kunst des Alterns. Medizinethische Diskurse über den Alterungsprozess in exogener Einflussnahme. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Bryant, T. (2011): Alterungsangst und Todesgefahr- der deutsche Demografiediskurs (1911-2011). In: APuZ-11/2011, S.40-46.
Enquete-Kommision (2002): Recht und Ethik in der modernen Medizin. Berlin: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit.
Kuhlmey, J. (2008): Versorgung älterer Menschen aus ethischer Perspektive. In: Kuhlmey, A. (Hrsg.): Alter, Gesundheit und Krankheit. Bern, S.400-411.
Hellmchen, H., Kanowsi, S. & Lauter, H. (2005): Ethik in der Altersmedizin. Stuttgart: Kohlhammer.
Steinvorth, U. (1999): Angewandte Ethik und Zivilgesellschaft. . In: Brudermüller, G. (Hrsg): Angewandte Ethik und Medizin. Würzburg: Königshausen und Neumann.

Natali

© by Natali Mallek. Dipl. Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Gedächtnistraininerin, Master of Arts "Alternde Gesellschaften", Gründerin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Natali Mallek finden Sie hier. Fortbildungen mit Natali Mallek finden Sie hier.

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