Eine realistische Stellenausschreibung: Alltagsbegleiter für Menschen mit und ohne Demenz
Gestern musste ich spontan laut lachen. Der Grund dafür war eine Stellenausschreibung für Alltagsbegleiter, aus einer Einrichtung, die ich sehr gut kenne. Diese Einrichtung ist nicht unbedingt schlecht, aber die Hochglanzstellenausschreibung war doch sehr weit von der Realität entfernt. “Leistungsgerechte Vergütung”, “Angenehmes Arbeitsklima”, “multiprofessionelles Team”, “hohe Qualitätsmaßstäbe”, “Umfassende Fortbildungsmöglichkeiten”: Das waren die Stichworte in der Stellenausschreibung. Nun habe ich mir überlegt, wie eine realisitsche Stellanzeige für den Job aussehen könnte. Herausgekommen ist folgendes bei meinen Überlegungen:
Stellenausschreibung für Alltagsbegleiter
Wir sind eine durchschnittliche Einrichtung der Altenhilfe und haben viele nette und bemühte Mitarbeiter. Für die Stelle eines Alltagsbegleiters für Menschen mit und ohne Demenz, suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Betreuungskraft mit Qualifikation nach §87b.
Was Sie mitbringen sollten:
- Flexibilität. Rechnen Sie mit kurzfristigen Dienstplanänderungen, Wochenend- und Abenddiensten, Diensten an Feiertagen und Urlaubsverschiebungen.
- Ein dickes Fell. Wir bemühen uns zwar um eine gute Schnittstellenkoordiniation, trotzdem sind nicht alle unsere Mitarbeiter so einfühlsam wie wir es gerne hätten. Auch unsere Bewohner sind teilweise agressiv und anstrengend. Ein dickes Fell und eine Prise Humor sind im Arbeitsalltag hilfreich.
- Motivation. Die Tage sind lang, die Arbeit ist hart und die Anerkennung nicht zu allen Zeiten so hoch, wie sie es sein könnte.
- Kompetenz. Wir wissen, dass Sie nur eine kurze Qualifizierung für die Arbeit als Alltagsbegleiter durchlaufen haben. Trotzdem müssen sie unsere breite Palette an Angeboten professionell umsetzen können: Bewegung, Kreatives, Hauswirtschaft, Entspannendes, biografierorientierte Einzelbetreuungen, Gestaltung von Festen, Sterbebegleitung, und, und, und.
Was wir nicht bieten:
- Vollzeitstellen. Unser Credo ist: Köpfe, Köpfe, Köpfe. Aus diesem Grund besetzen wir unsere Stellen nur in Teilzeit. Bei herausragend guten Betreuungskräften, machen wir evtl. eine Ausnahme. Davon müssen Sie uns aber erstmal mit Ihrer Arbeit überzeugen.
- Ein hohes Gehalt. Für die ausgeschriebene Halbtagsstelle bekommen Sie 800€ Brutto. Wir zahlen keine Wochenendzuschläge. Es gibt kein Weihnachtsgeld.
- Aufstiegschancen. Ohne grundständige Ausbildung, die die Alltagsbegleiter selbst finanzieren und in ihrer Freizeit absolvieren müssen, gibt es in unserem Unternehmen keinerlei Aufstiegschancen für Alltagsbegleiter.
- Bezahlte Vorbereitungszeit. Da Sie eine Qualifizierung durchlaufen haben, gehen wir davon aus, dass sie unendlich viele Beschäftigungsideen einfach aus dem Ärmel schütteln. Zeit sich vorzubereiten räumen wir Ihnen auf der Arbeit nicht ein.
- Richtlinienkonforme Arbeit. Auch wenn Sie in der Ausbildung gelernt haben, dass Sie als Alltagsbegleiter für Menschen mit und ohne Demenz kein Essen anreichen dürfen: Bei uns gehört das genau so zu ihrem Aufgabenbereich wie das Ausräumen der Spülmaschine. Das dürfen Sie natürlich auf keinen Fall dem MDK erzählen.
- Gute interdisziplinäre Zusammenarbeit. An den Schnittstellen der unterschiedlichen Professionen unserer Einrichtung, gibt es schon mal die ein oder andere Reiberei.
- Supervision. Obwohl Sie in einem hochbelastenden Arbeitsfeld tätig sein werden und gute Teamarbeit unerlässlich ist, bieten wir keine Supervision an.
Was wir bieten:
- Ein nettes Sozialdienstteam. Wenn Sie mal einen schweren Tag hatten oder mit Pflegekräften aneinander geraten sind, haben Sie in unserem netten Sozialdienstteam immer die Möglichkeit sich auszu…”sprechen” und ihrem Unmut Luft zu machen.
- Nette Bewohner. Wir haben zwar auch ein paar liebenswürdige Nörgeler dabei, aber die meisten unserer Bewohner freuen sich sehr auf die Angebote der Alltagsbegleiter. Viele werden Ihre Dankbarkeit auch zur Sprachen bringen. Sie werden strahlende Augen sehen und freundliche Menschen treffen.
- Eine bemühte Einrichtungsleitung. Das System und die Trägervorgaben machen es ihr nicht immer leicht. Trotzdem bemüht sich unsere Einrichtungsleitung immer das bestmögliche für ihre Mitarbeiter und die Bewohner “herauszuholen”.
- Viele Gründe zu lachen. Humor ist wenn man trotzdem lacht. Oder gerade deswegen. Bei der sinnstiftenden Tätigkeit der Alltagsbegleiter werden Sie viele Gründe finden zu lachen.
Alltagbegleiter für Menschen mit Demenz leisten wertvolle Arbeit, keine Frage! Auch ich bin dieser Tätigkeit eine Zeit lang mit viel Engagement nachgegangen bevor ich mich dazu entschloss, Ergotherapie zu studieren. Da ich mich an die damaligen Belastungen und Konditionen noch sehr gut erinnere, kann ich vielen der hier genannten Punkte aus vollem Herzen zustimmen. An einigen Stellen möchte ich jedoch widersprechen:
– Ich halte ein Gehalt von derzeit 10,50€ pro Stunde für durchaus angmessen, wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Qualifizierung von gerade mal 12 Wochen plus 4wöchiges Praktikum handelt. Das liegt deutlich über dem Mindestlohn für ungelernte Arbeitskräfte. Zum Vergleich sollte hier mal erwähnt werden, dass man als Ergotherapeutin nach 3,5 Jahren Studium im ambulanten Setting oft nur 1 Euro mehr verdient!!! Und das sieht in den anderen Gesundheitsberufen ähnlich aus.
– Entsprechend kann niemand, der eine solche Kurzqualifizierung absolviert hat, ernsthaft Aufstiegsmöglichkeiten erwarten. Es handelt sich ja eben nicht um eine professionelle Tätigkeit, sondern war von Anfang an gedacht als unterstützender Dienst, um Pflegekräfte und Therpeuten in ihrer Arbeit zu entlasten.
– Der eigentliche Skandal ist, wenn Alltagbegleiter sich selbst überlassen und nicht angeleitet werden. Noch schlimmer ist, wenn sie mit ihrem Halbwissen Aufgaben übernehmen sollen, die eigentlich nur von professionellen Fachkräften durchgeführt werden sollten. Ich denke da z.B. an Gruppenaktivierungen, die , wenn sie wirklich etwas bewirken sollen, sehr bewusst geplant sein sollten und ein fundiertes Wissen bezüglich Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung bei demenziell veränderten Menschen voraussetzen. Aber um Kosten einzusparen, werden qualifizierte Fachkräfte aus den Einrichtungen verdrängt und durch Alltagsbegleiter ersetzt. Was dabei herauskommt ist ein oberfächliches Beschäftigungsangebot, was für den Laien so ähnlich aussieht wie fachgerechte Aktivierung, die Ressourcen und Möglichleiten der Bewohner jedoch keinesfalls ausschöpft.
– Was die Richtlinienkonforme Arbeit angeht, so trägt jeder Altagsbegleiter selbst die Verantwortung für die Tätigkeiten, die er ausführt! Solange keine Dysphagie vorliegt, kann das Gestalten einer Essenssituation durchaus ein wertvolles Angebot sein, das von Alltagsbegleitern übernommen werden kann – Richtlinie hin oder her- besonders wenn der alte Mensch nur noch über sensorische Reize erreichbar ist. Nicht akzeptabel, aber leider immer wieder praktiziert, ist das Verabreichen von Medikamenten im Rahmen des Essen Anreichens – im schlimmsten Fall wird dem Bewohner ohne Vorankündigung ein Gemisch aus zermörserten Tabletten mitsamt der passierten Kost in den Mund geschaufelt. Hier sollte sich der Alltagsbegleiter in jedem Fall strikt weigern!
Um es nochmals zu unterstreichen, ich möchte hier keineswegs die Leistung der §87b Altagsbegleiter schmälern, ich halte es im Gegensatz für wichtig, dass sie ihrer Qualifikation entsprechend im multiprofessionellen Team eingesetzt und angeleitet werden (dann erübrigt sich auch eine lange Vorbereitungszeit).
Was den berechtigten Wunsch nach Wissensvertiefung angeht, so empfehle ich das Buch von Gudrun Schaade, Ergotherapie bei Demenzerkrankungen.
Ich kann mich der “realistischen Stellenausschreibung” und dem Kommentar nur anschließen. Möchte aber an dieser Stelle anmerken, dass es nicht mehr §87b heißt, sondern §53c. Außerdem werden Bewohner nicht “agressiv”, sondern verhaltensauffällig. Und zumindest im Westen liegt der Stundenlohn mittlerweile bei 11,05€.
Ich arbeite selbst als Betreuungskraft in einer stationären Einrichtung und weiß daher wovon ich rede. Und kann daher nur bestätigen dass am Miteinander von Pflege- und Betreuungspersonal auch noch viel getan werden muss.
Ich arbeite seit 6 Jahren als Betreuungskraft auf Wohnbereichen wo nur an Demenz erkrankte Bewohner leben. Ich erfahre täglich die Demenz in allen Stufen.
Mein Arbeigeber zahlt nach Tarif und wir werden jedes Jahr über interessante Themen (neben der Pflichtweiterbildung für BK) weitergebildet.
Der MDK, die Einstufung in die erforderl. Pflegestufe , die Pflege- und Gesundheitspolitik machen es den Pflegeheimbetreibern nicht leicht.
In unseren Dienstberatungen sprechen wir über alle Probleme die den Pflegealltag im Haus betreffen, es werden nach Lösungen gesucht. Unser Team arbeitet gut zusammen.
Jeder Arbeitstag auf meinem Wohnbereich ist immer eine Herausforderung. Beschäftigungsangebote müssen oft nach Tagesform der Bewohner flexibel, umgedacht und angepasst werden. Informationen hierfür erfahre ich u.a. bei der Dienstübergabe. Der “Schreib- und Organisationskram” sollte auch erledigt sein.
Für mich zählt das Wohlbefinden, ein Lächeln der Bewohner am Ende jeder Einzel,- oder Gruppenbetreuung. Bei den meisten meiner Bewohner ist die Erinnerung daran nach kurzer Zeit verschwunden. Ich weiß aber , was ihnen für diese Momente viel Spaß bereitet hat. Trauer, Tränen , Wut, Angst, u.v.m. muss auch von uns professionell “aufgefangen, ausgehalten” werden.
Es gibt Momente, da habe ich den besseren Kontakt zum Bewohner und kann ihm die lebensnotwendigen Medikamente verabreichen (unter Aufsicht) oder zur Arztvisite im Haus begleiten. Ich bin in ihren Augen: “die Spiel, Spaß und gute Laune Frau”. Jeder kennt solche Situationen.
Für mich fordert diese Aufgabe viel Kraft, daher arbeite ich in Teilzeit.
Unsere Arbeit als Betreuungskräfte sollte endlich im Pflegealltag akzeptiert und überdacht werden.
Liebe Grüße und weiterhin viel Spaß..
Diese Stellenausschreibung ist sehr realistisch, jedenfalls habe ich es genau so erlebt. Aber ich liebe diese Arbeit und ich liebe die Bewohner.
Aber ebenso kann ich Barbara Mrugalski nur beipflichten.
Vor allem fehlt ZEIT.
Am Anfang hatte ich 1 Etage mit 15 Bewohnern mit Gruppen- und Einzelbegleitung in 4 Stunden mit Dokumentation.
Danach hatte ich 2 Etagen mit je 15 Bewohnern ebenfalls in 4 Stunden plus Dokumentation.
Da kann man keinem mehr gerecht werden, weder den Betreuern und vor allem nicht den Bewohnern.
Und die Vorbereitung erfolgten nur zu Hause, denn man kann in dieser Zeit nicht auch noch die Vorbereitung mit einplanen.