Stille Nacht. Eine kleine Adventsgeschichte
Unsere Sammlung mit Geschichten zum Vorlesen erweitern wir heute mit einer kleinen Adventsgeschichte.
Stille Nacht
An die Weihnachtsabende in meiner Kindheit, denke ich immer wieder gerne zurück. Voller Herzlichkeit, voller Wärme, voller Liebe und Zuversicht, so habe ich Weihnachten in Erinnerung. Wir feierten Weihnachten immer mit meinen beiden Großmüttern gemeinsam und sie und meine Mutter erfüllten die gute Stube mit guter Laune, mit Lachen und Freude. Den Einzigen, den man am Heiligen Abend so gar nicht gebrauchen konnte, war mein Vater. Dabei hätte man meinen müssen, als Pfarrer hätte er eine besonders weihnachtliche Stimmung verbreiten müssen. Weihnachtliche Stimmung konnte er auch gut verbreiten, von November bis zum 24.12. um ca. 19.00 Uhr. Bei den Chorproben, in der das Weihnachtsoratorium eingeübt wurde. Bei dem Adventskaffeetrinken der Frauenhilfe. Bei der Adventsandacht im Seniorenheim. Bei dem Weihnachtsbasar im Krankenhaus. Bei den Proben der Krippenspielgruppe. Bei seinem Besuch des Kindergartens als Nikolaus. Bei den Proben für die Christmette des Posaunenchors. Bei den Besuchen des Adventsbastelns der Kreativgruppe. Und bei so mancher anderer Gelegenheit.
Am 24.12. lief er dann schon um 6 Uhr morgens wie ein aufgeschrecktes Huhn durch die Wohnung (und da denkt man immer, dass es die Kinder sind, die an Weihnachten aufgeregt sind). Er brabbelte etwas wie “Bei den ganzen Veranstaltungen bin ich mit meinen Gottesdienstvorbereitungen noch gar nicht fertig!” und verschwand für einige Stunden in seinem Arbeitszimmer. Wir Kinder sahen unseren Vater erst im Weihnachtsgottesdienst mit Krippenspiel um 15.00 Uhr wieder. Nach dem Gottesdienst gingen wir nach Hause und bereiteten uns auf die Bescherung vor. Unser Vater blieb noch in der Kirche und feierte noch 2-4 weitere Gottesdienste. Manchmal fand die Bescherung sogar ohne ihn statt. Das fand ich nicht schlimm, wenn mein Vater doch rechtzeitig kam, schaute er meist nur noch mit glasigen Augen auf den Tannenbaum und legte sich so bald wie möglich aufs Sofa. In den Jahren, in denen er nicht mit der Christmette dran war und dafür am späten Abend nochmal in die Kirche eilte, schloss er dann seine Augen und es dauerte gefühlte 3 Sekunden bis er einschlief. Mein Vater hatte dann am Heiligen Abend seiner erste “Stille Nacht” seit Ende November.