Von der Sinnesaktivierung bis zum Erdbeerfest…

Im Gespräch mit Marion Jettenberger über Aktivierungsideen und Betreuungsangebote in der Seniorenarbeit

 

Hallo Frau Jettenberger, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.



Mein Name ist Marion Jettenberger, ich bin 36 Jahre jung, staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin, klinische Kunsttherapeutin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Palliativfachkraft. Hauptberuflich bin ich Hospizkoordinatorin bei einem ambulanten Hospizdienst, nebenberuflich bin ich Referentin und Autorin in den Bereichen Demenzbegleitung und Sterbebegleitung. Das Schreiben und das kreative Entwickeln von Materialien für Demenzbetroffene ist für mich eine Art Ausgleich zum Alltag.

Sie sind jetzt schon einige Jahre in der Seniorenarbeit tätig, begleiten ältere, kranke und auch sterbende Menschen.
Wann haben Sie sich entschieden, diesen Weg zu gehen? Was sollte man unbedingt mitbringen, wenn man sich entscheidet in diesem Bereich zu arbeiten?

Ich habe mich schon sehr früh entschieden, noch während der Realschulzeit, dass ich in den sozialen Bereich gehe. Wir haben zu Hause meine Uroma in der Familie gepflegt, das war völlig normal und selbstverständlich, auch als sie mental und körperlich immer schwächer wurde. Außerdem liebe ich Lebensgeschichten und wer, wenn nicht unsere ältere Generation, kann viel aus ihrem Leben erzählen! Ich denke man muss vor allem Empathie und die Freude im Umgang mit Menschen mitbringen und zusätzlich natürlich eine fundierte Ausbildung.

Eine besondere Herausforderung ist die Betreuung und die Begleitung Bettlägeriger.
Haben Sie ein paar Tipps für uns, welche Angebote man den Betroffenen machen könnte, die sie einerseits nicht überfordern, andererseits aber auch hinreichend ansprechen und aktivieren?

In erster Linie müssen wir DA-sein und OHR-sein, uns gerade Bettlägerigen gezielt zuwenden und uns Zeit nehmen. Und besonders über die Sinne gibt es dann zusätzlich so viele Möglichkeiten, einen Zugang zu diesen Menschen zu finden und Emotionen zu wecken. Ich biete hier am liebsten eine Handmassage an, die eine Streicheleinheit für Körper und Seele ist. Handmassagen, regelmäßig angewendet, können Nähe und gegenseitiges Vertrauen fördern und den Umgang miteinander im Pflege- und Betreuungsalltag erleichtern.

Gibt es Materialien oder bestimmte Aktivierungen, mit denen Sie oft und gerne in der Begleitung von Menschen mit Demenz arbeiten? Würden Sie uns diese kurz vorstellen?

Ich arbeite sehr gerne mit ätherischen Ölen, weil Aromapflege für mich automatisch eine Erinnerungsarbeit ist. Durch Düfte erinnern sich Menschen an allerlei Situationen, sei es die Zitrone, die an den Urlaub im Süden erinnert, oder Vanille, die Erinnerungen an die Weihnachtsbäckerei mit der Großmutter wachruft. Mit dem Karten-Set “Basiswissen Ätherische Öle in der Aromapflege” von Steffi Klöpper gelingt das ganz wunderbar.
Sehr zu empfehlen sind auch Groß-Puzzle, die kommen immer gut an. Der Verlag an der Ruhr z.B. bietet sie zu allerlei Themen an.

Besonders empfehlen kann ich auch noch die Karten-Sets, ebenfalls vom Verlag an der Ruhr, sei es eben zur “Aromapflege”, zu “Sinnesaktivierungen für Bettlägerige” oder “Bewegungsübungen für Bettlägerige”. Die Karten-Sets sind vor allem so schön handlich und man kann die Schraube an dem Fächer aufdrehen, sodass man einzelne Karten herausnehmen und nutzen kann. Das ist in der praktischen Arbeit sehr angenehm.

Nicht nur wir, sondern auch viele Betreuungskräfte, die wir kennengelernt haben, stellen am liebsten ihre Beschäftigungsmaterialien selbst her – sie lassen sich so nicht nur individueller herstellen, sondern sind auch viel kostengünstiger als die Materialien aus dem Fachhandel.
Ich weiß, dass Sie in Kürze ein Buch zu diesem Thema veröffentlichen werden 😉
Würden Sie uns EINE Anleitung für selbst gestaltete Aktivierungsmaterialien aus Ihrem Buch verraten?

Meine ersten drei Do-it-yourself-Materialien waren, wie sicherlich bei vielen anderen Betreuungskräften auch, aus der Not heraus geboren, nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben. So entstanden beispielweise Tischkegel, Fühlsäckchen und diverse Memo-Spiele, die ich allesamt selbst aus Materialien hergestellt habe, die ich nicht mehr brauchte, gespendet bekam oder auf Flohmärkten fand. Im Laufe der Jahre fand ich immer mehr Freude daran, etwas selbst herzustellen, besonders wenn ich dabei auch meine Bewohner aktiv miteinbeziehen konnte. Aus alten Marmeladendeckeln lässt sich zum Beispiel ein ganz wunderbares Fühl-Memo zaubern. Die Innseiten der Deckel werden hierfür mit verschiedenen Materialien, wie Watte, Schleifpapier, Baumrinde oder Moos, beklebt. Immer zwei Deckel mit demselben Material. Und schon hat man ein Memospiel zum Ertasten parat oder ein Material für eine Raterunde, bei der die Senioren mit geschlossenen Augen die Materialien ertasten und erraten.

Erfahrungsgemäß sind besondere Feste oder auch Themenwochen beliebte Anlässe, die Abwechslung und Freude in den Alltag von Senioreneinrichtungen bringen können.
Welche Tipps können Sie uns mit auf den Weg geben, damit beispielsweise Feste in Senioreneinrichtungen gut gelingen? Was sollte man unbedingt beachten und was sind vielleicht Programmpunkte, die auf jeden Fall auf solchen Festen dazu gehören?

Erstellen Sie sich im Team als erstes immer eine Checkliste: Wer macht was bis wann? Das hat sich in der Praxis bewährt. Und vergessen Sie nach der Durchführung des Festes auch die Reflexion nicht, denn nur so kann man aus jedem Fest fürs nächste wieder lernen. Reflexionsfragen können dabei sein:
Kam das Thema/Fest/der Thementag gut an?
• Was kam bei den Betreuten/Bewohnern besonders gut an?
• Was hat gut geklappt?
• Welche Schwierigkeiten/Probleme sind aufgetreten?
• Was waren die Ursachen?
• Wie haben wir darauf reagiert?
• Was müssen wir das nächstes Mal bedenken/besser machen?
Programmpunkte, die bei einem Fest oder Mottotag nicht fehlen dürfen, sind kulinarische Highlights, Dekoration, Musik und natürlich ein buntes Programm, das sowohl geistig agile, als auch demenzbetroffene Senioren anspricht. In meinem Buch “Von Spielefest bis Erdbeertag*” finden sich zahlreiche, bereits ausgearbeitete Ideen für Mottotage, inklusive Materialien auf CD-ROM.

Würden Sie uns vielleicht eine kleine Geschichte oder Anekdote erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?

Kürzlich begleitete ich eine demenzerkrankte, bettlägerige und bereits sterbende Frau. Sie konnte sich nicht mehr äußern und hatte die Augen die meiste Zeit über zu, Essen und Trinken war nicht mehr möglich. Ich wusste jedoch, dass sie Cola gerne getrunken hat. So träufelte ich ihr mit einer Pipette ein wenig Cola auf die Lippen. Sie öffnete den Mund, die Zunge kam ein wenig heraus, ich gab noch einen Tropfen darauf, dann öffnete sie die Augen und schaute mich ganz klar und strahlend an wie seit Tagen nicht mehr. Ein ganz wunderbarer Moment, der zeigt, wie man jemanden ganz einfach und nur über den Geschmackssinn erreichen kann. Wie das gelingen kann, dazu geben ich in meinem Karten-Set “Sinnesaktivierungen für Bettlägerige” viele Anregungen und praktische Tipps.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Noch viel mehr Möglichkeiten in unserer Gesellschaft, Menschen im Alter, mit Demenz, Schwerstkranke und Sterbende zu betreuen, zu begleiten und zu pflegen.

Herzlichen Dank, Frau Jettenberger!!!

Gerne, ich danke Ihnen!

Zur Amazon-Autoren-Seite von Marion Jettenberger*

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert