Kunst und Demenz
Sabina Dr. Leßmann im Interview
Hallo Frau Dr. Leßmann, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Im Kunstmuseum Bonn bin ich seit 1992 als Kuratorin für Bildung und Vermittlung beschäftigt.
Welche Bedeutung hat Kunst für Sie persönlich?
Kunst sehe ich als einen Spiegel auf die Welt, die Sicht darauf ist klar, verzerrt, verschönert oder auch verklausuliert. Daher verstehe ich Kunst als eine Möglichkeit, sich mit der Komplexität unserer Welt auseinanderzusetzen, uns zu sensibilisieren, abzuhärten, Fragen auf sie zu entwickeln, es uns gut gehen zu lassen…
Wie sind Sie zu dem Thema „Kunst und Demenz“ gekommen?
Unsere Angebote für Senioren haben sich im Laufe von mehr als 20 Jahren – auch in Zusammenarbeit mit externen Partnern – immer wieder verändert. Diese Kooperationen führten zu der Nachfrage auch nach speziellen Angeboten für Menschen mit Demenz. Zuvor hatte das Lehmbruckmuseum in Duisburg mit solchen Veranstaltungen begonnen, aus Italien und natürlich aus dem MoMa kamen interessante Informationen. Das alles machte uns Mut, ebenfalls Programme zu entwickeln und anzubieten. Der Bedarf war ja offenkundig.
Sie bieten Veranstaltungen mit demenziell veränderten Menschen im Kunstmuseum Bonn an. Was erwartet Teilnehmer bei diesen Veranstaltungen?
Wir haben zwei Formate: seit 2011 FARBEN IM KOPF für Gruppen aus Einrichtungen, die vielfach regelmäßig, manche kontinuierlich seit nun fünf Jahren zu uns kommen, und seit September 2016, also ganz aktuell, das CAFÉ FARBE, ein monatlich stattfindendes Demenz-Café für Menschen mit und ohne Demenz, bei dem also Angehörige, Betreuende, Freunde das Kunstmuseum gemeinsam besuchen. Letzteres bieten wir im Zusammenschluss mit anderen drei Bonner Einrichtungen der Altenpflege an, d.h. das CAFÉ FARBE ist eines von mehreren Angeboten in Bonn, um Beratung, Vergnügungen, Zusammensein, verschiedene Programme nutzen und erleben zu können. Das CAFÉ FARBE ist offen für alle, man entscheidet nach Tagesverfassung, ob man kommt. Diese offenen Workshops sind uns sehr wichtig, dank einer Unterstützung durch die Stiftung der Bonner Altenhilfe können wir diese nun auch regelmäßig anbieten.
Die Gruppen aus Wohnheimen und Tagespflegeeinrichtungen haben ihren festen monatlichen Termin und sind emotional mit dem Museum vertraut. Wir starten mit einer gemeinsamen Gesprächsrunde, steigen ins heutige Thema ein, besuchen Kunstwerke und erkunden das Museum, um dann im Atelierraum mit Farben aktiv zu sein. Letztlich geht es immer um Teilhabe am kulturellen Leben in Bonn, um die Nutzung des Museums mit seiner Kunst und seinen Angeboten als einen Ort des Entdeckens, Lernens (ja, wahrhaftig), Schaffens, sinnlich Erlebens und des Wohlbefindens.
Welchen besonderen Herausforderungen begegnen Sie bei Ihren Veranstaltungen für Menschen mit Demenz?
Wie bei allen Besuchergruppen müssen wir auf die Bedürfnisse unserer Gäste eingehen. Bei Menschen mit Demenz ist viel Einfühlung, vor allem aber Authentizität und Erfahrung gefragt. Im Kunstmuseum Bonn hat sich hierfür ein tolles Team aus Kunstvermittlerinnen und ehrenamtlichen Begleiterinnen entwickelt.
Viele Einrichtungen können es finanziell und personell nicht stemmen, ihren Bewohnern oder Gästen diese bereichernde Teilhabe zu ermöglichen. Wir können nur Überzeugungsarbeit leisten, nicht aber solche Hürden beseitigen.
Sie haben ein Buch mit dem Titel „Farben im Kopf. Malen und Gestalten mit Menschen mit Demenz“ * veröffentlicht. Was erwartet die Leser?
Es handelt sich um ein Praxisbuch, in das die vielen Erfahrungen meiner beiden Kolleginnen Wulpekula Schneider und Kathrin Stangl sowie meine eigenen eingeflossen sind. Exemplarische Kunstwerke bieten Ideen zu Gesprächen, Betrachtungen, Materialerfahrungen und anschließend zu einer einfach umsetzbaren Atelierarbeit mit künstlerischen Techniken. Das Buch soll Ideen geben, aber auch zu konkreten Schritten anleiten. In einem Theorieteil möchten wir für die Kunst begeistern und das Museum als einen Ort präsentieren, wo Menschen mit Demenz ganz besonders stimuliert und beschützt sind. Gleichzeitig dient die Publikation aber auch Betreuenden zu Hause oder in den Einrichtungen als ein Praxisbuch mit konkreten Arbeitsschritten. Übrigens schreiben wir gerade an einer Fortführung, es soll einen zweiten Band mit neuen Anregungen geben.
Können Sie den Lesern von Mal-alt-werden.de vielleicht ein kleines Beispiel für das künstlerische Arbeiten mit Menschen mit Demenz vorstellen?
Beim Nass-In-Nass Malen versinkt man automatisch in Farben, die verlaufen, sich mischen und ausbreiten. Egal ob ich Blätter oder einfach Punkte tupfe, ob ich das ganze Blatt fülle oder nur wenige Akzente setze: das Bild vor mir erstrahlt! Dafür nutzen wir hochwertige Aquarellfarben, um die Farben zum Leuchten zu bringen. Ein Garten oder eine Rheinlandschaft von August Macke kann hierzu herrliche Anregungen bieten. Aber auch die zeitgenössische Kunst bietet viele Ideen und Gesprächsanlässe: Jeder von uns hat eine oder mehrere Lieblingsfarben. Es macht unglaublichen Spaß, diese mit einem Spachtel zu verstreichen. Kein Bild wird dem anderen gleichen, jeder hinterlässt seine individuellen Spuren. Eine Teilnehmerin sagte spontan, als sie ihr Werk betrachtete: „Da stellst du fest, du kannst `was!“
Können Sie vielleicht eine kleine Anekdote oder eine Geschichte erzählen, die Sie bei Ihrer Arbeit mit Menschen mit Demenz erlebt haben?
Wir haben in unserer Sammlung einen Raum von dem Künstler Franz Ackermann, der uns für unsere Gäste mit Demenz allzu chaotisch, schrill und verwirrend vorkam. Während wir also mit den Gruppen den Raum mieden, zog ihn – für uns völlig unerwartet – die Gäste magisch an: „Ah, endlich viel Farbe!“ oder „Hier ist es schön bunt!“ waren Bemerkungen, die wir hörten. Wir haben dann viel in diesem Raum gearbeitet, eine Gruppe (Tagespflege Breite Straße) hat sogar davon inspiriert in einem viele Wochen andauernden Projekt Bildelemente hergestellt, um einen „Grünen Salon“ in ihrer Einrichtung als Aufenthaltsraum mit Farbmalerei, Fotos und Holzelementen zu gestalten. Wenn Kunst dermaßen nach außen ‚strahlen‘ kann, wenn sie zu Gemeinschaftsprojekten anregen kann, dann ist das wunderbar.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Beständigkeit. Mutige Ideen. Partner, die uns zur Seite stehen. Und weiterhin viele Gäste, die sich im Museum von der Kunst begeistern lassen.
Herzlichen Dank, Frau Dr. Leßmann!!!