Du, Du liegst mir am Herzen!
Im Gespräch mit Martina Hollenhorst über die Wirkung von Musik und Gesang auf immobile Persönlichkeiten
Hallo Frau Hollenhorst, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Ich arbeite seit vielen Jahren als Musikgeragogin und zertifizierte Singleitern für die heilsame Kraft des Singens in einer Wohnstätte für Senioren. Schon während meines Ausbildungspraktikums fand ich es bedauernswert, dass den bettlägerigen Persönlichkeiten so selten Musik und Gesang angeboten wurde und entwickelte daher eigene Konzepte, schrieb übrigens auch über dieses Thema meine Facharbeit.
Außerdem besuche ich auch freie Seniorengruppen, andere Einrichtungen und bin außerdem als Weiterbildungsreferentin tätig.
Wann und wie haben Sie Ihre persönliche Leidenschaft zur Musik entwickelt?
Ich habe schon immer gerne gesungen und musiziert und war in meiner Familie damit die Ausnahme. Was mich aber nicht davon abgehalten hat, immer wieder mit Menschen zusammenzutreffen mit denen ich mich über Musik und Gesang verbunden fühle. Privat spiele und unterrichte ich mit großer Freude Querflöte.
Sie arbeiten viel mit Menschen, die bettlägerig oder an einer Form der Demenz erkrankt sind. Wie können wir uns einen Besuch von Ihnen bei diesen Menschen vorstellen?
Jede Woche habe ich ein anderes Thema, zum Beispiel: “Auf hoher See”. In meinen Stundenkonzepten gibt es Elemente für Menschen mit kognitiven Möglichkeiten, aber auch für dementiell veränderte Personen. Bettlägerige haben außerdem oft Bewusstseinsbeeinträchtigungen und natürlich können die Angebote bei der Individualbetreuung noch gezielter auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Ressourcen eingehen.
Jedesmal beginne und ende ich mit einem rituellen Lied, in dem ich die Person zur Begrüßung mit Vor- und Nachnahmen ansinge. Oft spüre ich hierbei schon, wie die Aufmerksamkeit erhöht wird, wenn wir vertrauter sind, oft sogar freudige Erwartungshaltungen.
Es gibt es Persönlichkeiten, die sich eine Rahmengeschichte anhören, die Lieder mitsingen, andere hören nur zu oder lassen sich zu Bewegungen motivieren.
Rhythmus ist ein Parameter, der vom ersten bis zum letzten Lebensjahr erhalten bleibt und beim Instrumentalspiel besonders Menschen mit Demenz neben Freude auch Erfolgserlebnisse sichert.
Ich lasse weitere basale Orientierungshilfen mit einfließen: Bilder, Gegenstände, Geräusche, Düfte und manchmal schlüpfe ich in die Rolle eines, beim obigen Thema z.B., Matrosen oder Kapitäns, um Erlebnisräume anzubieten. Denn Humor bietet Freude und Leichtigkeit und darf nicht zu kurz kommen.
Was können Musik und Gesang bei bettlägerigen oder/und an Demenz erkrankten Menschen erreichen?
Für einige wäre das oben genannte eine Reizüberflutung, hier kommen nur sehr ausgewählte musikalische Stimulationen oder Lieder in Frage. Es gibt aber auch, gerade bei Menschen, die sich verbal nicht mehr äußern können, viele denen ich durch behutsame Atembeobachtung und Beachtung der Denkverlangsamung entsprechende Sing- oder Tönangebote machen kann, um ihnen so zu musikbasierter Kommunikation, das heißt zu Ausdruck verhelfen kann.
Ich habe häufig selbst erlebt, dass Musik und Gesang oft die einzigen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und Kommunikation sind.
Warum finden wir mit Hilfe der Musik einen so guten Zugangsweg zu Menschen?
`Musik findet den Weg zur Seele´ heißt es, was bedeutet, dass Töne, Klänge und Rhythmen Verknüpfungen ermöglichen. Durch altvertraute Melodien werden so plötzlich die Lieder wieder erinnert und als Sprache unter Zuhilfenahme von rhythmischen Motiven reaktiviert, da singen eine vertraute Ausdrucksform war.
Sie geben am 17. und 18. September bei uns in Dortmund eine Fortbildung zu dem Thema „Musikgeragogische Angebote für immobile Persönlichkeiten“.
Was erwartet die Teilnehmer an diesen zwei Tagen?
Neben geragogischen Hintergrundinformationen gibt es viele praktische Übungen, die auch für musikalische Laien Selbsterfahrung des Singens und Musizierens ermöglichen. Ressourcenorientierte Instrumente und deren Spielweisen und Einsatzmöglichkeiten werden vorgestellt. Auch stelle ich ein exemplarisches Themenkonzept vor und wir werden erarbeiten welche Elemente für die besonderen Bedingungen der bettlägerigen Persönlichkeiten geeignet sind. Meistens haben die Kursteilnehmer sehr viel Spaß und das finde ich auch sehr wichtig, denn nur das, was wir selber gerne tun können wir mit Leichtigkeit und Freude weitergeben.
Können Sie uns vielleicht eine kleine Anekdote oder Geschichte erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?
Bei einem bettlägerigen Herrn, der schon seit vielen Jahren nicht mehr gesprochen hatte, brauchte es einige Wochen. Auf mein Tun konnte ich keine Reaktionen erkennen und wollte schon das Angebot abbrechen, weil ich glaubte es sei ihm nicht willkommen. Da plötzlich hörte ich, dass er zur Akkordbegleitung meiner Gitarre Töne harmonisch hinein summte. Ich gab ihm dann gezielte Töne vor und er hatte sehr viel Freude daran seine musikalische Wahrnehmung auszudrücken. Nach einigen weiteren Übungen, die immer in seinem Atemrhythmus stattfanden, summte oder tönte er ganze Lieder mit mir und lachte übers ganze Gesicht. Von dem Tag an erwartete er mich, suchte und hielt Blickkontakt und gewann sichtbar neue Lebensfreude, die ihm durch die musikbasierte Kommunikation ermöglicht wurde.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft ?
Das wir alle, Junge und Alte, Gesunde und Kranke gemeinsam singen und musizieren, dass Krankheiten und Beeinträchtigungen nicht so im Vordergrund stehen. Ja, dass es viele glückliche Momente gibt, in denen die Krankheit einfach vergessen wird.
Herzlichen Dank, Frau Hollenhorst!!!