Erinnerungen. Eine Liedergeschichte zu dem Volkslied “Die Gedanken sind frei”

Hier finden Sie eine Liedergeschichte zu dem Volkslied “Die Gedanken sind frei”. Die Geschichte kann in Gruppenangeboten und auch in der Einzelbetreuung von Senioren und Menschen mit Demenz vorgelesen werden. Sie eignet sich auch gut für Senioren, die zuhause begleitet werden.
Lesen Sie die Geschichte vor und singen Sie gemeinsam an den angegebenen Stellen die entsprechende Strophe von “Die Gedanken sind frei”.

Erinnerungen. Eine Liedergeschichte zu dem Volkslied “Die Gedanken sind frei”

Renate sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa und blättert ganz vertieft in ihrem alten Tagebuch. In Gedanken ziehen die Jahre wie Sekunden an ihr vorbei. Ist es wirklich schon so lange her, dass sie auf dem Schulhof mit Murmeln gespielt hat? Oder dass sie sich auf dem Rummel so unglücklich am Fuß verletzt hat? Damals hatte sie nur Augen für das Riesenrad und die Zuckerwatte in ihrer Hand, sodass sie die Glasscherbe auf dem Boden gar nicht bemerkte. Über drei Wochen musste sie damals einen Verband am Fuß tragen. Das Pflaster, das ihr nach dem Fäden-Ziehen zum Schutz über die geheilte Wunde geklebt worden war, hatte sie in ihrem Tagebuch ganz heimlich aufbewahrt…



Die Gedanken sind frei wer kann sie erraten
Sie fliehen vorbei, wie nächtliche Schatten
Kein Mensch kann sie wissen kein Jäger erschießen
Es bleibet dabei. Die Gedanken sind frei

Renate blättert weiter. Mal wirkt sie beim Lesen ganz konzentriert, dann sieht man ein Lächeln über ihr Gesicht huschen. Ein anderes Mal wirkt es, als spüre sie ein wenig Wehmut. Als sie auf den Seiten ankommt, auf denen ganz viele rote, rosafarbene und violette Herzchen gemalt worden sind, strahlen ihre Augen vor Glück. Sie kann ich ein Seufzen nicht verkneifen. Ja natürlich, Hans – ihre erste und einzige große Liebe. Als sie sein Foto von damals in den Händen hält muss sie wieder lächeln. “Mensch, Hans, wo ist die Zeit nur geblieben?”, denkt sie und atmet einmal tief ein und aus. Die vierzig Jahre, die sie nun schon verheiratet sind laufen wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. Und sie muss an der ein oder anderen Stelle in ihrem Tagebuch lachen – wie verliebt sie doch gewesen war. Und wenn sie heute darüber nachdenkt, auf die eine oder andere Art und Weise auch ein wenig verrückt…

Ich denke was ich will und was mich beglücket
Doch alles in der Still und wie es sich schicket
Mein Wunsch mein Begehren kann niemand verwehren
Es bleibet dabei. Die Gedanken sind frei

Renate streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und runzelt ihre Stirn. Ja, es standen nicht nur amüsante Dinge in ihrem Tagebuch. Natürlich kann sie die Sätze heute wieder in einer versöhnlichen Haltung lesen. Aber als sie sich damals mit ihren Eltern über zu kurze Röcke, ihre Haarfrisur und ihre Lieblingsmusik gestritten hat, hätte sie die beiden im wahrsten Sinne des Wortes auf den Mond schießen können. Wie oft sie doch gerne vor Wut die Tür ihres – damals noch – Kinderzimmers zugeschlagen hätte, es sich nur auf Rücksicht auf ihre Oma, die mit im Haus gewohnt hat, nicht getraut hatte. Spätestens seitdem sie selbst Mutter geworden war, hatte sie die Gedanken und Einwände ihrer Eltern bis auf ein paar wenige jedoch nachvollziehen können. Zu der Zeit damals hat es ihr geholfen, ihren Zorn in ihr Tagebuch zu schreiben. Und wirklich – auch dieser Teil ihrer Jugend ging im Nachhinein einfach viel zu schnell vorbei…

Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker
Das alles sind rein vergebliche Werke
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei. Die Gedanken sind frei

Renate blättert durch die letzten Seiten ihres Tagebuchs, die Sonne geht schon langsam unter und die Teekanne, die sie sich zum Lesen auf das kleine Tischchen neben dem Sofa gestellt hatte, ist schon fast leer. Sie merkt gar nicht, dass es zum Lesen eigentlich langsam zu dunkel wird. Vielmehr schmökert sie in den Seiten, die sie kurz nach der Geburt ihrer Kinder noch gefüllt hatte. Nun schwingt schon ein wenig Wehmut in ihrem Herzen – auch die Kinder sind jetzt schon so groß und der Kleine wohnt sogar zwei Autostunden in der Ferne. Dann wiederum muss sie wieder schmunzeln, weil die Häufigkeit, mit der sie in ihr Tagebuch geschrieben hat, rapide gesunken ist. Ja, ja, als junge Mutter hatte viele andere Dinge zu tun als in ihr Tagebuch zu schreiben.
Als sie das Buch zuklappt, fühlt sie sich dennoch gut und ist glücklich. Es stimmt, die Jahre sind wie im Fluge vergangen. Aber der Erinnerungen und glücklichen Momente hat sie Tag für Tag, Stunde um Stunde dazugewonnen. Und sie ist sehr dankbar, dass sie viele dieser Momente immer und immer wieder in die Hand nehmen und die Gefühle neu aufleben lassen darf. Und es fühlt sich gut an…

Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen
Und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen
Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen
Und denken dabei. Die Gedanken sind frei

Text von “Die Gedanken sind frei” können Sie hier als Großdruck-Liedblatt ausdrucken

Die Gedanken sind frei kostenlos als MP3-download

Eine große Auswahl an Liedergeschichten zu den beliebtesten Volksliedern finden Sie in unserem Buch “Geschichten zum Vorlesen und Mitsingen”. Unsere Buchvorstellung können Sie sich hier ansehen!

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert