Was bedeutet “Lebensqualität” bei schwerer Demenz?
Was bedeutet Lebensqualität?
Nicht nur bei Menschen mit Demenz gibt es einen Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Lebensqualität. Aber was bedeutet „Lebensqualität“ überhaupt? Trotz vielfältiger Bemühungen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen ist es bis heute nicht gelungen, zu einer einheitlichen Definition von Lebensqualität zu gelangen. Kontrovers diskutiert wird zum Beispiel die Frage, ob Lebensqualität eher objektiv ist und an erster Stelle von den Umwelt- und Lebensbedingungen abhängt oder eher subjektiv ist und von personenbezogenen Kriterien abhängt.
Ist Lebensqualität von uns selbst oder der Umwelt abhängig?
Der Livibility-Ansatz des Soziologen Veenhoven (2000) geht davon aus, dass die Bedingungen für Lebensqualität vor allem in den Lebensumständen zu suchen sind. In dem Modell von Veenhoven besteht Lebensqualität aus Ressourcen und „Outcome“. Zu den innerhalb der Person liegenden Ressourcen gehört demnach die Verhaltenskompetenz und zu den außerhalb der Person liegenden Ressourcen die objektiven Umweltmerkmale. Zu dem innerhalb der Person liegenden „Outcome“ gehört nach dem Modell die Lebenszufriedenheit bzw. das subjektive Wohlbefinden und zu dem außerhalb der Person liegenden „Outcome“ der „Nutzen“. Das Modell von Veenhofen baut auf ein vier Bereiche umfassendes Modell von Lawton auf, welches subjektives Wohlbefinden, erlebte Lebensqualität, objektive Umwelt und Verhaltenskompetenz beinhaltet. Die Erweiterungen beziehen sich vor allem auf die Ressourcen, die sowohl materieller als immaterieller Art sein können. [Veenhoven 2000].
Lebensqualität und schwere Demenz
In Bezug auf die Lebensqualität von Menschen mit schwerer Demenz sind die außerhalb der Person liegenden Ressourcen besonders interessant. Menschen mit einer schweren Demenz sind, durch ihre krankheitsbedingten Einschränkungen, im besonderen Maße von ihrer Umwelt und deren Gestaltung abhängig. Die Gestaltung und Bereitstellung von Beschäftigungsangeboten, die bei gesunden Menschen auch intrinsische Komponenten hat, wird mit fortschreitender Demenz und Abhängigkeit zunehmend von außen vorgegeben. Spannend ist die Frage, ob dadurch der Grad der Lebensqualität stärker von außerhalb der Person liegenden Ressourcen (sowie zum Beispiel Beschäftigungsangebote) abhängig ist als bei Menschen ohne kognitive Einbußen.
Selbständigkeit erhalten
Bei der Entwicklung des Heidelberger Instruments zur Lebensqualität Demenzkranker (H.I.L.DE.) spielte die Annahme eine entscheidende Rolle, dass die Nutzung von vorhandenen Ressourcen in starker Abhängigkeitsbeziehung zu den bestehenden Lebensbedingungen steht. Als ein Beispiel wird angeführt, dass Pflegebedürftige, denen nicht alle Tätigkeiten abgenommen werden, sondern die dazu motiviert diese selbständig durchzuführen, eine langfristig signifikant höhere Selbständigkeit aufweisen [Kruse/ Becker/ Kaspar & Re 2006].
Was sagt die WHO?
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Konzepte zum Thema Lebensqualität stehen Menschen ohne kognitive Einschränkungen im Mittelpunkt. Bei Menschen, die an einer schweren Demenz leiden können sich die Dimensionen von Lebensqualität ändern. Bei der Zielgruppe von Mal-alt-werden kommt hinzu, dass viele in einer stationären Pflegeeinrichtung wohnen. In dem Lebensqualitäts-Konzept der Weltgesundheitsorganisation [WHO 1997] werden Menschen mit Pflegebedarf und/ oder gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigt:
„WHO defines Quality of Life as individuals perception of their position in life in the context of the culture and value systems in which they live and in relation to their goals, expectations, standards and concerns. It is a broad ranging concept affected in a complex way by the person’s physical health, psychological state, level of independence, social relationships, personal beliefs and their relationship to salient features of their environment. “(S.3)
Lebensqualität und stationäre Eirnichtungen
Wingenfeld et al. (2011) verdeutlichen vier Dimensionen, in denen Beeinträchtigungen zusammengefasst werden, die die Lebensqualität von Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen negativ beeinflussen können.
- Bei der kognitiv-mentalen Dimension liegt die Beeinträchtigung bei der Wahrnehmungsfähigkeit der Realität und objektiver Sachverhalte.
- Bei der interaktiven Dimension bezieht sich die Beeinträchtigung auf die respektvolle, gerechte und würdige Kommunikation mit anderen Menschen.
- Bei der psychisch-emotionalen Dimension ist die Beeinträchtigung von der selbstbestimmten Umsetzung und Äußerung von Emotionen und Wünschen gemeint.
- Bei der somatischen Dimension werden Beeinträchtigungen der Gesundheit und physischen Leistungsfähigkeit berücksichtigt.
Die vier Dimensionen sind bei Menschen mit schwerer Demenz sehr häufig von Beeinträchtigungen betroffen. Die Beeinträchtigungen bei der kognitiv-mentalen Dimension ergeben sich aus den Symptomen der Krankheit. Die Beeinträchtigungen bei der interaktiven Dimension ergeben sich aus den Schwierigkeiten, die Außenstehende häufig haben, wenn sie in Interaktion mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen treten. Bei der psychisch-emotionalen Dimension weisen Wingenfeld et al. darauf hin, dass hirnorganische Veränderungen kombiniert mit emotionalen Schwierigkeiten zu einer Überformung der Selbstbestimmung der Persönlichkeit führen können. Bei der letzten Dimension, der somatischen, sind die häufig vorhandenen Einschränkungen nicht ausschließlich auf die demenziellen Erkrankungen zurückzuführen, sondern vor allem auch auf das häufig hohe Alter und die damit verbundene Multimorbidität [Wingenfeld/ Kleina/ Franz/ Engels/ Mehlan & Engel 2011].
Quellen:
Veenhoven, R.(2000). The four qualities of life. Ordering concepts and measure of the good life. Journal of Happiness Studies, 1, 1-39.
Kruse, A./ Becker, S./ Kaspar, R. & Re, S.(2013). H.I.L.D.E. Abschlussbericht 2006. Zugriff am 6.09.2013, von http://www.uni-heidelberg.de/imperia/md/content/fakultaeten/vekw/ifg/forschung/hildekongress/hilde_abschlussbericht_erste_foerderphase.pdf
WHO(1997). WHOQOL. Measuring Quality of Life. Zugriff am 24.11.2013, von http://www.who.int/mental_health/media/68.pdf
Wingenfeld, K./ Kleina, T./ Franz, S./ Engels, D./ Mehlan, S. & Engel, H.(2011). Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe. Zugriff am 24.11.2013, von http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Pflege/Berichte/Bericht_Entwicklung_und_Erprobung_von_Instrumenten_zur_Beurteilung_der_Ergebnisqualitaet_in_der_stationaeren_Altenhilfe.pdf