Uli und die Demenz…
Im Gespräch mit dem Kolumnisten und Buchautor Uli Zeller
Hallo Herr Zeller, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.
Ich glaube, meine Oma ist an allem schuld. Als Kind war ich viel bei ihr. Bei meiner Oma Paulina. Und sie hat ihren Teil dazu beigetragen, dass meine Kindheit glücklich war. Heute schreibe ich Geschichten für die ältere Generation, für Menschen mit und ohne Demenz. Andachten, lustige Geschichten und Mutmachgeschichten. Sommer- und Wintergeschichten. Kolumnen und Ratgeber mit Tipps für Angehörige von Menschen mit Demenz. Für Paulina & Co.
Sie begleiten schon sehr lange Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind. Was sind Ihrer Meinung nach wichtige Grundlagen im Umgang mit Menschen mit Demenz?
Ganz einfach gesagt: Man muss Menschen mögen. Und ihnen die Zeit geben, die sie brauchen. Egal, ob man nun validiert, Biographiearbeit oder Zehn-Minuten-Aktivierung anbietet. Betreuungsangebote haben oft schillernde Namen; sie klingen schön und professionell. Letztlich hängt es aber doch einfach am Respekt, der Zeit und der Liebe, die man sich für sein Gegenüber nehmen kann.
Mittlerweile sind drei Bücher mit Vorlesegeschichten für demenziell veränderte Menschen von Ihnen erschienen. „Frau Janzen geht tanzen“*, „Frau Krause macht Pause“* und „Frau Franke sagt danke“*.
Wie sollten Geschichten für Menschen mit Demenz geschrieben sein? Was sollte man beim Vorlesen beachten?
Ich merke beim Schreiben: Es muss vor allem in der Praxis funktionieren. Besonders an meinen Büchern ist vielleicht gar nicht das, was drin steht. Sondern eher, was alles nicht drin steht. Ich nehme meine Texte, bevor sie in ein Buch kommen, immer wieder mit ins Altenheim. Und wende sie in verschiedenen Situationen an. Zehn, zwanzig, dreißig Mal. Meist noch öfter. Wenn sie nicht „funktionieren“, fliegen die Geschichten, Rätsel und Lückentexte während dieses Reifungsprozesses wieder aus dem Manuskript. Was „funktioniert“, entscheiden allein meine Zuhörer. Nicht die Theorie, die ich irgendwann gelernt habe. Die besten Lehrer sind für mich immer die Betroffenen, die Zuhörer. Menschen mit Demenz und eingeschränkter Aufmerksamkeit.
Und was man beim Vorlesen beachten sollte? Sichtbare und tastbare Hilfsmittel benutzen. Etwa Bilder und Gegenstände, Blumen und Münzen, Kuscheltiere – oder ein Glas Wasser zum Trinken. Augenkontakt halten. Und auf den Zuhörer eingehen.
Dann ist die Biographie des Zuhörers sehr wichtig. Wenn jemand berufstätig war, werden ihm eher Geschichten rund um den Beruf gefallen. Ist jemand auf einem Bauernhof aufgewachsen, mag er vielleicht Geschichten mit Tieren. Hat jemand jedes Jahr ausgiebig und begeistert Geburtstag gefeiert, macht man wohl mit Geburtstagsgeschichten nichts verkehrt.
Besonders wichtig ist die Kindheit. Was man als heranwachsender Mensch erlebt, holt einem im Alter oft wieder ein. Weil mein Vater bei der Bahn arbeitete, fahre ich zum Beispiel heute noch gerne Zug. Wenn ich in der Bahn sitze, das Rattern spüre und das Dröhnen der Lokomotive höre – dann fühle ich mich wohl und geborgen. Meine Verlobte hat neulich einmal zu mir gesagt: „Wenn du mal dement wirst, kaufe ich dir eine Bahn Card 100 und setze dich in den Zug.“ Sie hat wohl verstanden wie wichtig es ist, Kindheit und Biographie einzubeziehen…
Zu Ihrer Arbeit gehört auch die Angehörigenberatung demenziell veränderter Menschen. Was würden Sie sagen, sind die häufigsten Sorgen/Fragen, mit denen die Angehörigen oder auch Freunde auf Sie zukommen?
Was raten Sie in solchen Fällen?
Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist vielmehr die Tätigkeit mit den dementen Menschen selber. Die Angehörigen haben aber in dem Moment schon gewonnen, in dem sie kommen und Fragen stellen. Und Hilfe in Anspruch nehmen. Oft ist nämlich das Problem, dass die Angehörigen von der Arbeit rund um ihren pflegebedürftigen dementen Menschen völlig absorbiert und aufgesaugt werden. Wenn jemand merkt: „Da komme ich an meine Grenzen!“, „Da komme ich nicht weiter!“ oder „Wer kann mir helfen?“ – dann ist schon viel gewonnen. Das größte Problem ist, glaube ich, wenn Angehörige sich scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
In Ihrer Kolumne “Uli & die Demenz” schreiben Sie über Ihre Erfahrungen aus dem Pflegealltag und geben Tipps für den Umgang mit Menschen mit Demenz. Ich finde, auf eine sehr erfrischende und ehrliche Art und Weise.
Was ist Ihr persönliches Anliegen für das Schreiben dieser Kolumne?
Ich merke, dass ich beim Thema Demenz selber an meine Grenzen komme. Ich habe fast in meinem gesamten Berufsleben mit dementen Menschen zusammengearbeitet. Habe eine Masterarbeit zum Thema „Demenz und Seelsorge“ geschrieben. Sowie bis jetzt drei Vorlesebücher für demente Menschen – und einen Ratgeber für ihre Angehörigen. Trotzdem merke ich immer wieder: Ich bin ein Lernender. Und werde es immer bleiben. Ich habe es nicht in der Hand. Ich habe es nicht „kapiert“, wie Demenz „funktioniert“. Jeder Mensch ist wieder anders. Jede Demenz verläuft unterschiedlich. Jeder Mensch ist mehr als ein „Fall“. Und darum ist es auch jeder wert, dass man sich individuell auf ihn einlässt. Meine Kolumne ist ein Versuch, in knappen Worten nachzuzeichnen, wie ich selber nach dem richtigen Weg suche. Manches gelernt habe, aber dennoch immer wieder scheitere, stolpere, falle, wieder aufstehe und nach dem richtigen Weg suche. Vielleicht ist meine Kolumne ein Weg, mein eigenes Scheitern zu verarbeiten. Und damit mir selbst und anderen weiter zu helfen…
Können Sie vielleicht eine kleine Geschichte oder Anekdote aus Ihrem Alltag mit demenziell veränderten Menschen erzählen, an die Sie sich gerne erinnern?
Mir fällt spontan der Spruch einer Arbeitskollegin ein, die im gleichen Altenheim wie ich arbeitete, im Emil-Sräga-Haus in Singen. Dort gibt es sogenannte Seniorenfamilien, in denen zehn Bewohner zusammen leben. Gemeinsam wird gekocht und Alltag gestaltet. Eine Kollegin war an einem Tag wohl etwas berührt über einen der Heimbewohner. Also sagte sie zu ihm: „Sie sind einer der zehn Gründe, warum ich gern zur Arbeit komme.“ Als ich das gehört habe, habe ich mich den ganzen Tag darüber gefreut. Und habe mir gedacht: Wenn ich im Alter eines Tages so geschätzt werde, brauche ich mich nicht einmal vor einer Demenz zu fürchten…
Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Generationen wieder zusammen kommen. Dass kleine Kinder nicht in die Kita müssen, wenn sie das überfordert. Und dass demente Menschen in die Gesellschaft integriert werden. Dass Kinder erleben wie es ist, wenn man eine Oma zuhause hat. Dass die Großeltern den Enkeln zeigen können, wie man Kartoffeln schält und im Wald einen Spazierstock schnitzen kann.
Herzlichen Dank, Herr Zeller!!!
Zur Internetseite: die-pflegebibel.de
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