Tage voller Leben…

Im Gespräch mit Maria Hagenschneider über die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann im Hospiz

 

Liebe Frau Hagenschneider, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.



Ich bin Jahrgang 1955. Seit mehr als 30 Jahren lebe ich in Hamm in Westfalen. In den letzten 2 Jahrzehnten meiner Erwerbsarbeit habe ich als Heilpädagogin in der Frühförderung gearbeitet. Ich habe Familien begleitet, in denen Kinder mit einer Behinderung oder drohenden Behinderung lebten. Ehrenamtlich habe ich mich außerdem in der interkulturellen Arbeit engagiert und war auch als Dozentin für Interkulturelle Arbeit aktiv. In den frühen Arbeitsjahren war ich zunächst als Erzieherin, dann als Religionspädagogin tätig.

Wir haben uns durch Ihr Buch „Tage voller Leben“ kennen gelernt. Darin schreiben Sie über die intensiven Momente mit Ihrem Mann während Ihrer gemeinsamen Zeit im Hospiz.
Wie und wann kam Ihnen der Gedanke, diese Zeit in einem Buch festzuhalten?

Als ich mit meinem Mann ins örtliche Hospiz gezogen bin, war nicht sicher, wie lange er noch leben wird. Es wurden unerwartet lange 10 Wochen, die wir gemeinsam dort verbrachten und es war eine Zeit voller Höhen und Tiefen. Ich habe in dieser Zeit tägliche Mails an die Familie und Freunde geschrieben, wenn sie nicht sowieso zu Besuch gekommen waren. Diese Zeugnisse unseres Lebens hatte ich fast alle aufgehoben. Schon das waren nicht nur Berichte über das, was wir erlebt hatten, sondern über unsere Gefühle, unsere Hochzeiten und unsere Traurigkeiten, über unsere Ängste und Kraftlosigkeiten.

Als ich nach dem Tod meines Mannes wieder daheim war, habe ich jeden Tag an ihn geschrieben. Zugleich habe ich alles, was ich rund um die Themen Sterben und Trauer finden konnte gelesen. Ich spürte, wie ich mit dem Schreiben meine Gefühle ausdrücken konnte. Ich habe immer gespürt, dass das, was mich be-eindruckt Aus-druck braucht. Was ich geschrieben hatte, wurde so sagbar und klar. Ich konnte es mir anschauen. Es war nicht mehr nur in mir, sondern mein Gegenüber. Beim Wiederlesen dessen, was ich geschrieben hatte, wurde das Erlebte zu meiner akzeptierten Geschichte. Ich konnte sie mir wieder „einverleiben“. Ich weiß gar nicht, wie viele Male ich all die Gedanken wieder und wieder gelesen habe und noch klarer ausgedrückt habe. Es kamen immer neue Aspekte dazu. Endlich habe ich sie zu einzelnen Kapiteln zusammengeschrieben. Schon während dieser letzten Phase dachte ich darüber nach, meine Erfahrungen öffentlich zu machen in der Hoffnung, dass es Exemplarische für viele Menschen geben würde. Das war natürlich nicht einfach, weil ich nur persönlich schreiben konnte, wenn ich Persönliches nicht ausklammern würde. Das brauchte dann noch einmal eine eigene Überarbeitung. Es brauchte gute Lektoren und eine guten Verlag, den ich zügig mit dem Patmos-Verlag gefunden habe.

Sie sagen, das Schreiben hat Ihnen geholfen, mit dem Schmerz und der Trauer fertig zu werden und weiter zu leben. Und dass Sie die Erinnerungen an Ihren Mann bewahren wollten, schreiben Sie auch. Es ist, wie ich finde, eine wundervolle Liebeserklärung geworden.
Können Sie beschreiben, was das Schreiben mit Ihnen gemacht hat?

Ja, das Schreiben hat, wie ich oben schon erklärt habe, sicher einen therapeutischen Wert gehabt. Zugleich ist es aber auch tatsächlich beglückend – ich wähle das Wort bewusst – beglückend – vom Ende einer Geschichte her auf diese Geschichte drauf schauen zu können und sie aufzuschreiben. Das Schreiben hat mir ermöglicht, zu sehen und wert zu schätzen, was ich hatte, nämlich eben diese große Liebe. Und die ist nicht vorbei. Liebe bleibt.
Mit dem Schreiben habe ich auch meinen Glauben in Worte fassen können.
Und das Schreiben hat mir auch erlaubt, mit mir selbst ehrlich zu sein und zu mir selbst zu stehen. Ich wäre gerne eine stärkere Frau gewesen. Ich war aber eine, die an Grenzen gekommen ist im Mitleben und Mitleiden und Selbstleiden. Gnädiger bin ich mit mir selbst geworden. Und zugleich ehrlicher. Ich war in keiner Weise perfekt. Ich war, wie ich war: unvollkommen, unleidlich, ungeduldig, zornig, überfordert und daneben so in Liebe eingehüllt, völlig anwesend, wie eine Klette an meinem Mann hängend, liebevoll, aktiv. Das konnte ich sehen durch das In-Worte-Fassen. Das konnte ich gelten lassen. Das hat das Schreiben mit mir gemacht.

Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass Sie und Ihr Mann die Zeit seiner Erkrankung sehr bewusst genutzt und die Zeit im Hospiz ganz besonders intensiv gelebt und wahrgenommen haben. Wenn ich mich täusche, sagen Sie das gerne.
Woher haben Sie die Kraft genommen, Ihrem Mann ein so starker Fels zu sein?

Ja, wir haben die gesamte Zeit der Erkrankung meines Mannes und auch die Zeit im Hospiz intensiv miteinander gelebt. Das war aber in unserer Beziehung auch eher die Regel. Wir haben beide vor unserer Eheschließung in einer Kirchengemeinde gearbeitet und später in sozialen Berufen. Die Fragen nach dem, was ist, was kommt, was bleibt, was trägt… waren immer bei uns aktuell. Wir haben sehr aufeinander geachtet. Wir haben immer schon – mindestens zu den Mahlzeiten an den Wochenenden – stundenlang geredet. Die Zeit im Hospiz war dann eben noch mal besonders. Nur habe ich mich nicht wie ein starker Fels gefühlt. Ich war schon häufig auch Kraft-los. Aber ich habe auch Kraft bekommen, z.B. von meinem Mann selbst, weil er bis zum Sterben intellektuell klar war. Kraft haben mir die Familie und die Freunde gegeben. Kraft – ganz viel davon – bekam ich durch die Mitarbeiter*innen des Hospizes. Letztendlich bin ich mir sicher, dass wir die Zeit im Hospiz ebenso gestaltet haben, wie unsere gesamte Beziehung. Da war immer mal er oder ich stärker. Nur waren die Anforderungen und Anfragen und täglichen Herausforderungen dann im Hospiz auch immer wieder neu und wir haben uns orientiert an dem, was wir kannten.

Sie möchten anderen Menschen, die gerade jemanden in schweren Stunden begleiten oder eine geliebten Menschen verloren haben Mut machen.
Was möchten Sie diesen Menschen mit auf den Weg geben?

Wenn Sie jemanden begleiten, handeln Sie, wie es Ihnen entspricht. Tun Sie das, was Sie können. Seien Sie ehrlich mit sich und haushalten Sie gut mit Ihren Kräften. Nehmen Sie Hilfe an, von Fachleuten, von Familie, von Freunden und sorgen Sie auch gut für sich. Suchen Sie sich Tankstellen, an denen Sie zur Ruhe kommen können oder tun Sie das Gegenteil: Laufen hilft manchen. Und seien Sie einfach nur da, bei dem, den sie begleiten oder auch bei sich. Sie werden finden, wie Sie in der Begleitung leben können.

Wenn Sie trauern, dann schauen Sie, wie Ihre Trauer Ausdruck sucht. Wenn Sie kreativ sind, malen Sie, oder nähen Sie. Mir hat es geholfen aus den Hemden meines Mannes eine Decke zu quilten. Gehen Sie spazieren. Pflanzen Sie einen Baum. Und weinen Sie, schreien Sie, schimpfen Sie, so lange Sie es brauchen. Wenn Sie möchten, nehmen Sie Kontakte auf zu Ihrem örtlichen Hospizverein. Dort gibt es sicher andere Trauernde, mit denen Sie sich treffen können. Oder Sie finden dort Angebote für Trauerseminare.

Was hat Ihnen Beiden die gemeinsame Zeit im Hospiz gegeben?

Tage voller Leben! 70 Tage davon! Mein Mann Klaus konnte gut sterben und ich kann gut weiter leben mit dieser meiner/unserer Geschichte.

Ihr Mann Klaus ist im November 2012 verstorben. Wie geht es Ihnen heute?

Mir geht es gut! Es gibt zwar Tage, in denen ich meinen Mann sehr vermisse. Manchmal wenn ich alte Paare sehe, bin ich für einen Moment neidisch, denn ich wäre gerne mit meinem Mann sehr alt geworden. Ich träumte davon, dass er mir die Schnürsenkel gebunden hätte, wenn ich alt wäre.
Und ich schreibe immer wieder, wenn die Trauer oder die Liebe anklopft, wenn das Leben überraschend und geheimnisvoll daher kommt.
Aber ich begrüße die Trauer und die Liebe, die Überraschung und das Geheimnis als Freunde. Und so geht es mir gut in dieser Gesellschaft.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Ich bin sicher, dass meine Zukunft offen ist, dass sie bunt und vielfältig ist. Ich wünsche mir sehr, dass ich gesund bleibe. Ich wünsche mir viele Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen. Ich bin weiterhin gespannt auf das Verbindende in den Kulturen und in den Religionen. Ich wünsche mir eine Zukunft, in der die Würde des Menschen unantastbar bleibt, die Würde jedes Menschen!

Herzlichen Dank, für dieses sehr persönliche und bereichernde Gespräch, Frau Hagenschneider!!!

Herzlichen Dank auch Ihnen, Frau Schneider, für Ihre behutsamen Fragen, für Ihren Respekt und für Ihr Interesse. Ihnen und Ihren Leser*innen wünsche ich gute Zeiten.

Tage voller Leben haben wir auf mal-alt-werden.de bereits vorgestellt.
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Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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