Ich bin bei dir und doch bei mir, das Leben ist so kurz
Ich sitz bei dir und du wirst gehn,
wo bist du in Gedanken?
Der Cocktail wirkt, du bist ganz still,
die Schmerzen in den Schranken.
So viel erlebt, so viel gesehn
und ich, ich kenn dich kaum.
Und doch sitz ich in dieser Stund,
neben dir im Raum.
Ich bin bei dir und doch bei mir,
das Leben ist so kurz
und irgendwie das meiste doch,
am Ende ganz schön schnurz.
Die Ruhe ist des Lebens Lohn
jetzt wird die Hand gehalten,
ein Bibelvers, ein kleines Lied,
den Nachttisch hübsch gestalten.
Zeit zu begleiten ist zu rar,
ist schwierig zu verwalten.
Ich bin noch eine Stunde da,
wie lang wirst du gehalten?
Ich bin bei dir und doch bei mir,
das Leben ist so kurz
und irgendwie das meiste doch,
am Ende ganz schön schnurz.
Der Atem kommt und geht im Schwall,
lässt oftmals auf sich warten.
Die Haut ist gelb, im Raum ein Hall,
du gingst gern in den Garten.
Ich kann mir das nicht gut ansehen,
hat die Frau gesagt.
Ob sie dir die Schmerzen nehmen,
hat sie noch gefragt.
Ich bin bei dir und doch bei mir,
das Leben ist so kurz
und irgendwie das meiste doch,
am Ende ganz schön schnurz.
Die Stunde reicht, der Atem still,
jetzt ist die Zeit gekommen.
Jetzt hat an wen man wohl so glaubt,
dich zu sich hingenommen.
Du wirst nie mehr im Regen stehn,
siehst keine Sonne scheinen.
Du wirst jetzt nicht mehr fröhlich sein,
du wirst nie wieder weinen.
Ich bin bei dir und doch bei mir,
das Leben ist so kurz
und irgendwie das meiste doch,
am Ende ganz schön schnurz.
Ich gehe raus, die Tür ist zu,
die Welt, sie dreht sich weiter.
Der Alltag ist zurück im Nu,
die Menschen froh und heiter.
Du liegst im Bett, du wirst geholt,
das kann dich nicht mehr stören.
Die Frau sie kommt, die Frau sie weint,
du kannst es nicht mehr hören.
Ich bin bei dir und doch bei mir,
das Leben ist so kurz
und irgendwie das meiste doch,
am Ende ganz schön schnurz.
Super geschrieben..👏👂
Liebes Team,
das Gedicht hat mich sehr berührt. Gerade wird mir wieder bewusst, was mit uns passiert, wenn wir eine Sterbebegleitung machen.
Wir nehmen Abschied, auch ein Stück von uns selbst geht dabei mit. Das Schlimme ist, dass wir kaum die Möglichkeit haben, das Erlebte zu verarbeiten; denn “draußen” geht das Leben weiter und nimmt keine Rücksicht auf uns. Leider!
Vielen Dank für dieses tolle Gedicht
Andrea
Ein wunderbarer Text, der gleichzeitig die Wirklichkeit und das Transzendente im Sterbeprozess auf sehr behutsame Weise spiegelt.