Die Betreuungskraft und die permanente, latente Schuld!

Es gibt eine Wahrheit, die ich in der sozialen Betreuung schmerzlich lernen musste: Genug gibt es nicht. Fertig gibt es nicht. Was ich mache, reicht nicht.  Wahrscheinlich kennt jede Betreuungskraft, die ihren Job ernst nimmt, diese oder ähnliche Momente:

  • Frau H. liegt in ihrem Bett und schreit. Ich weiß ich kann sie beruhigen. Wenn ich bei ihr bin. Wenn ich ihre Hand halte. Ich habe keine Zeit. Ich muss zum Kegelkreis.
  • Herr J. liegt im Streben. Ich bin bei ihm, sitze da. Befeuchte zwischendurch seine Lippen. Ich weiß, dass Herr J. nicht gerne allein ist. Das mochte er nie. Ich muss in zehn Minuten gehen. Die Karnevalsveranstaltung fängt an.
  • Bei Frau P. muss noch das Essen angereicht werden. Ich habe keine Zeit zum Essenanreichen, muss pünktlich Feierabend machen, gehe ins Büro und mache die Dokumentation. Das Essen reicht Schwester Schaufelbagger an.

 

Ach, ich könnte die Liste noch endlos weiterführen und auch noch den kleinen und großen Ungerechtigkeiten des Systems einen Platz einräumen:

Ich erinnre mich noch gut an Herrn F. der so lange auf die Bewilligung eines Rollstuhls gewartet hat, dass er in der Zwischenzeit gestorben ist oder an Frau R., die so dringend eine Psychotherapie gebraucht hätte, deren Hausarzt aber befand, dass ein paar Pillen wohl auch reichen würden.

Wie viele Male habe ich mich reingehängt, gekämpft, telefoniert und geredet bis mir der Mund fusselig wurde?

Viele Male!

Wie oft habe ich es nicht getan? Wie viele Male hätte ich noch mehr geben können, hatte ich keine Kraft, Zeit, Lust zu kämpfen, habe ich Dinge einfach so stehen gelassen und hätte mehr geben können? Auch auf die Frage muss ich antworten:

Viele Male!

Der Nachteil der sozialen Arbeit ist der, dass man am Ende des Tages kein fertiges Produkt in den Händen hält, sein Tagwerk nicht von allen Seiten betrachten kann. Man kann sich fast immer noch mehr Mühe geben. Man kann fast immer noch mehr geben. Die Grenze, die man bei seiner Arbeit ziehen muss, verschiebt sich jeden Tag etwas, man muss auf seine Ressourcen achten, sich kennen, achtsam sein und sich auch dann verzeihen können, wenn man einfach mal einen faulen Tag hat. Das kommt vor. Das ist menschlich. Schuld ist kein besonders hilfreiches Gefühl. Besser ist es die vielen positiven Moment des Tages noch einmal durchzugehen, sich die vielen, lächelnden Gesichter ins Gedächtnis zu rufen, sich daran zu erinnern, wie entspannt Frau I. wirkte, nachdem wir bei ihr saßen, als sie weinte, wie dankbar die Angehörigen von Frau Z. uns anschauten, als wir halfen sie zu beruhigen.

Die Arbeit, die in der Betreuung geleistet wird, ist kein Tropfen auf den heißen Stein. Sie ist viel mehr ein Tropfen, der ein Glas immer voller macht.

Ein Glas voller Hoffnung, Zuversicht und Menschlichkeit.

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Natali

© by Natali Mallek. Dipl. Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Gedächtnistraininerin, Master of Arts "Alternde Gesellschaften", Gründerin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Natali Mallek finden Sie hier. Fortbildungen mit Natali Mallek finden Sie hier.

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Eine Antwort

  1. Neumann ,Vera sagt:

    Danke für die an Beitrag. Es ist so wahr und tut gut .
    Wir geben unser Bestes, aber wir müssen auch ein Stück für uns behalten
    LG Vera

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