Corona und die soziale Betreuung. Was ist jetzt erlaubt?
Diplom-Juristin Claudia Held im Interview
Hallo Frau Held, Corona stellt die Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen vor ganz neue Herausforderungen. Vieles was vorher galt, ist oder scheint außer Kraft gesetzt. Sie sind Diplom-Juristin und haben sich für ein kleines Interview bereit erklärt. Vielen Dank dafür. Vielleicht können Sie sich als erstes kurz vorstellen…
Hallo Frau Mallek, vielen Dank für die Gelegenheit zu den aktuellen rechtlichen Fragen der zusätzlichen Betreuungskräfte Stellung nehmen zu können.
Als freiberufliche Dozentin -Juristin, Mediatorin und Trainerin für Interkulturelle Kompetenz- biete ich, Seminare, Vorträge und Schulungen mit rechtlichen Themen in verschiedenen Ausbildungs-, Fort- und Weiterbildungsbereichen der Gesundheitswirtschaft an.
Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten neu und eine Ausnahmesituation! Nicht alle rechtlichen Fragen lassen sich derzeit eindeutig und klar beantworten. Daher stellen meine Antworten eine erste Einschätzung dar und ersetzen keine rechtliche Beratung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin.
In immer mehr Pflegeeinrichtungen werden zusätzliche Betreuungskräfte in der Pflege eingesetzt. In den Richtlinien für Betreuungskräfte nach § 53c SGB XI steht, Betreuungskräfte „dürfen weder regelmäßig noch planmäßig in körperbezogene Pflegemaßnahmen sowie hauswirtschaftliche Tätigkeiten eingebunden werden“. Wie ist das unter den jetzigen Bedingungen?
Unter den jetzigen Bedingungen hat sich die Situation verändert. Die politisch Verantwortlichen haben sich, befristet, auf neue Regelungen geeinigt:
Das Pflege-und Betreuungspersonal soll kurzfristig in unterschiedlichen Versorgungsbereichen eingesetzt werden können. Sicherlich sollen dabei auch der Ausbildungsstand und Tätigkeitsbereich berücksichtigt werden. Dabei kann insbesondere von den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben und Rahmenbedingungen zur Personalausstattung abgewichen werden.
Hat die Betreuungskraft das Recht sich zu weigern in der Pflege eingesetzt zu werden?
Diese Frage lässt sich unter den gegebenen Umständen nicht so einfach und pauschal beantworten. Im Einzelfall, je nach Tätigkeit und Situtation, mag eine Verweigerung der Übernahme der Pflege berechtigt sein und keine arbeitsrechtliche Folgen haben.
In vielen Einrichtungen sollen die Bewohner nun auf ihren Zimmern bleiben. Dürfen pflegerische Einrichtungen solche Maßnahmen im Rahmen der Pandemie anordnen?
Wie ist das bei Menschen mit Demenz, die sich nur schwer überzeugen lassen im Zimmer zu bleiben und eventuell ein hohes Laufbedürfnis haben? Dürfen diese zwanghaft im Zimmer festgehalten werden?
Nach der Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen ( https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2020-03-30_coronaschvo_idf_der_aendvo.pdf) haben Einrichtungen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintrag von Coronaviren zu erschweren, Patienten, Bewohner und Personal zu schützen.
Allerdings dürfte ein generelles Verbot, bei gesunden Bewohnern, das Zimmer nicht zu verlassen ein Verstoß gegen die Freiheitsrechte der Bewohner darstellen und nur in sehr besonderen Fällen, ggf. bei einer schweren Demenz, und bei Erkrankten zulässig sein. Zudem erlaubt die Coronaschutzverordnung Bewohnern und Patienten die Einrichtungen jederzeit unter der Beachtung der Regelungen dieser Verordnung zu verlassen. Dabei dürfen sie jedoch nur von anderen Bewohnern, Patienten oder Beschäftigten der Einrichtung begleitet werden und nur mit diesen Personen zielgerichtet oder intensiv Kontakt haben.
Schutzkleidung und Mundschutz sind Mangelware, viele Mitarbeiter der sozialen Betreuung arbeiten in Privatkleidung. Haben die Mitarbeiter das Recht Schutzkleidung vom Arbeitgeber gestellt zu bekommen?
Der Arbeitgeber hat die Arbeit grundsätzlich so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die Gesundheit der Mitarbeiter/-innen möglichst vermieden und verbleibende Gefährdungen geringgehalten werden. Bei entsprechender Gefährdung hat der Arbeitgeber persönliche Schutzausrüstung, wie z. B. Schutzhandschuhe oder Atemschutz, zur Verfügung zu stellen.
Die Mitarbeiter/-innen sind im Hinblick auf bestehende Gefährdungen umfassend zu informieren und zu unterweisen, wie damit umzugehen ist.
Arbeitgeber dürfen ihre Mitarbeiter/-innen deshalb nicht „sehenden Auges“ Gefahren aussetzen und z. B. Pflegekräfte ohne geeignete Schutzausrüstung mit SARS-CoV-2 infizierte Heimbewohner/-innen betreuen lassen oder nicht darauf gerichtete Direktiven erteilen. Solche müssten die Mitarbeiter/-innen nicht befolgen, darauf gestützte arbeitsrechtliche Sanktionen, wie z. B. eine Abmahnung, wären unwirksam. Darüber hinaus würde ein Arbeitgeber, der dies außer Acht lässt, ordnungswidrig handeln. Sollte sich ein/-e Mitarbeiter/-in infizieren, weil z. B. er/sie angewiesen wurde, ohne adäquate Schutzausrüstung eine/-n infizierte/-n Heimbewohner/-in weiterhin zu betreuen, könnte sich der Arbeitgeber sogar strafbar sowie schadensersatzpflichtig machen.
Wie ist das, wenn es einen Coronafall in der Einrichtung gibt und Mitarbeiter Angst um sich selbst und ihre Familie haben. Müssen Sie trotzdem arbeiten?
Ein allgemeines Recht des Arbeitnehmers, bei Ausbruch einer Erkrankungswelle wie COVID-19 der Arbeit fernzubleiben, gibt es nicht. Für das Eingreifen eines Leistungsverweigerungsrechts wäre es erforderlich, dass ihm die Erbringung seiner Arbeitsleistung unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB). Eine Unzumutbarkeit könnte bei einer konkreten Gefährdung (Verdachtsfälle, nachgewiesene Infektionen im Unternehmen) gegeben sein. Der Arbeitgeber kann dann aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet sein, den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen. Dabei kann es auch darauf ankommen, in welchem Bereich ein Arbeitnehmer eingesetzt ist.
Wie ist das, wenn die Mitarbeiter selbst zur Risikogruppe gehören?
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die arbeitsfähig sind, sind grundsätzlich verpflichtet zur Arbeit zu erscheinen. Personen mit Vorerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Für sie ist es besonders wichtig die Kontakt- und Hygieneregeln einzuhalten. Sie sollten zudem mit Ihrem Arbeitgeber besprechen, welche weiteren Maßnahmen dazu erforderlich sein könnten.
Was wünschen Sie sich von der Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir alle möglichst unbeschadet aus dieser Krise hervorgehen und mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Gesundheitswirtschaft entgegengebracht wird.
Hinweis:
Die Fragen habe ich nach bestem Wissen und Kenntnisstand beantwortet. Die Komplexität und der ständige Wandel der Rechtsmaterie machen es notwendig, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Herzlichen Dank, Frau Held!!!