Fortuna Düsseldorf und der Erinnerungskoffer

Im Gespräch mit Klaus Lindemann vom Caritasverband Düsseldorf über ein ganz besonderes “Fan-Projekt”

Hallo Herr Lindemann, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Mein Name ist Klaus Lindemann, ich bin 52 Jahre alt. Seit 1992 arbeite ich in verschiedenen Zusammenhängen mit Menschen mit Demenz. Damals habe ich einen Studentenjob in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung angetreten. Die Arbeit mit Menschen mit Demenz hat mich so begeistert, dass der „Studentenjob“ nach kurzer Zeit zu meinem Hauptberuf wurde und ich mich schließlich zu einer Ausbildung zum Krankenpfleger entschloss. Nach beruflichen Stationen in Deutschland und Griechenland habe ich mich dann nochmal zu einem Studium der Psychologie entschieden. Seit 2012 bin ich Standortverantwortlicher Demenz beim Caritasverband Düsseldorf. Meine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Männer und Demenz, ich leite die Männergruppen „Anpfiff“ und „Halbzeit“, sowie Migration und Demenz, ich bin für den Caritasverband Mitglied im Interkulturellen Demenz-Netzwerk Düsseldorf. Außerdem bin ich Projektmanager eines Projekts auf Ebene des Demenznetzes Düsseldorf: „Prävention im Quartier – Aufmerksam Sorgen Stärken (PiQ-ASS)“, ein Projekt zur Konflikt- und Gewaltprävention in der Häuslichkeit von Menschen mit Demenz und betreuenden Angehörigen.

Vor ein paar Tagen bin ich auf ein tolles Projekt für Menschen mit Demenz gestoßen: Einen sogenannten Erinnerungskoffer vom Fußballverein Fortuna Düsseldorf. Sie begleiten dieses Projekt. Was beinhaltet der Koffer und wie ist es zu der Idee für dieses Projekt gekommen?

Bei der Beschreibung, wie es zu der Idee gekommen ist, muss ich etwas ausholen. Stefan Felix, der Behindertenbeauftragte von Fortuna Düsseldorf, ist in England auf Projekte gestoßen, bei denen sich Fußballvereine um Fans mit Demenz kümmern. Er hat dann überlegt, wie man das auf Deutschland übertragen und wie Fortuna Düsseldorf als Verein sich auf diesem Feld engagieren kann. Mit der Idee des Erinnerungskoffers ist er dann über das Demenz-Servicezentrum der Stadt Düsseldorf an das Demenznetz Düsseldorf herangetreten. So ist auch der Kontakt u. a. zum Caritasverband Düsseldorf entstanden. Wobei er mit dem Projekt natürlich gerade bei den Männergruppen offene Türen eingerannt hat. In der Folge entwickelte sich in der Zusammenarbeit zwischen Fortuna und den Akteuren des Demenznetz Düsseldorf schnell ein Konzept, bei dem es erstmal darum ging, was genau in diesen speziellen Erinnerungskoffer gehört. Außer Fußballbildern und Fotos von bekannten Spielern, Eintrittskarten und Plakaten vergangener Jahre enthält der Koffer auch Fanutensilien, wie Schals, Fahnen und Wimpel. Außerdem befinden sich darin Gegenstände, die direkt mit dem Spiel zu tun haben, z. B. Trikots, Fußballschuhe oder Bälle. Natürlich sind das alles keine originalen Gegenstände der 30er bis 80er Jahre, die musealen Wert haben, sondern Reproduktionen oder neuere Gegenstände, wie die original Fußballschuhe eines Aufstiegshelden von 2012. Einiges, wie Fahnen oder Schals, ist von Fans der Fortuna extra für den Erinnerungskoffer selbst hergestellt worden und mutet an wie vor 40 oder 50 Jahren, als es noch nicht alles zu kaufen gab. Wichtig ist bei der Auswahl der Gegenstände, dass sie geeignet sind Erinnerungen zu aktivieren.

Welcher Grundgedanke für die Begleitung von demenziell veränderten Menschen steckt dahinter?

Stefan Felix ging es zunächst darum, demenziell veränderte Fans von Fortuna Düsseldorf zu unterstützen. Das Projekt Erinnerungskoffer dient in diesem Sinne erst einmal dem Zweck, dass Fans mit Demenz nicht ausgegrenzt werden und aktiv am Vereinsleben teilhaben können. Aufgrund der biographischen Bedeutung, die Fußball haben kann – das Interesse für Fußball und die Anhängerschaft zu einem Verein beginnen meist im Kindesalter und halten dann oft ein Leben lang an – können wir Fußball und gerade lokale Fußballvereine natürlich als Ressource für Menschen mit Demenz nutzen. Das gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Verein wie Fortuna Düsseldorf in Düsseldorf einen ganz besonderen Stellenwert hat und viele Ältere sich beispielsweise noch an den Tabakladen von Erich Juskowiak (ehem. Spieler der Fortuna und Nationalspieler der 50er Jahre) erinnern.

Was können die Andenken aus dem Erinnerungskoffer bei den Betroffenen bewirken?

Aufgrund der nicht nur biographischen Bedeutung von Fußball und Fortuna können wir damit bei den Betroffen zunächst Interesse wecken und einen Kontakt zu ihnen herstellen. Darüber hinaus können wir mit den Andenken persönliche Erinnerungen erhalten, teilweise sogar länger verschüttete, z. B. an frühere Stadionbesuche, wieder freigelegen. Durch die Fokussierung auf das Thema Fortuna Düsseldorf können Gespräche und Stimmungen entstehen, in denen die besuchten Menschen mit Demenz sich als gleichwertige Gesprächspartner empfinden, evtl. sogar zu gefragten Experten in Sachen Fußball werden. Dadurch steigen Wohlbefinden und Selbstbewusstsein der Betroffenen, teilweise wird sogar der Erhalt der Persönlichkeit unterstützt.

Die Besuche mit dem Erinnerungskoffer werden von geschulten Ehrenamtlichen in Senioreneinrichtungen durchgeführt. Wie können wir uns diese Besuche vorstellen?

Konkret sieht das so aus, dass wir im Rahmen unserer Demenzcafes, also im Schutz des gewohnten Umfeldes, Besuch von der Fortuna, in Person von ein oder zwei Ehrenamtlern, bekommen. Dieser Besuch von „der Fortuna“ ist gerade in den Männergruppen für viele fast ein offizieller Anlass, auf den sich unsere Gäste sehr freuen. Nach einer kurzen „Schnupperphase“, meistens bei Kaffee und Kuchen, wird dann der Koffer geöffnet und die Erinnerungsgegenstände werden herumgereicht. Dabei können Ehrenamtler und Gäste in einen aktiven Austausch gehen, und wenn es die Kommunikationsfähigkeit zulässt, entsteht in lockerer Atmosphäre ein Gespräch auf Augenhöhe. Manchmal erinnert ein Besuch mit dem Erinnerungskoffer an die lebhaften Diskussionen, die früher montags in der Frühstückspause geführt wurden, wenn die Fußballergebnisse des Wochenendes durchgegangen worden sind. In solchen Momenten können wir die integrative Kraft, die der Fußball haben kann, spüren.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie, bzw. Ihre Mitarbeiter, aus der Praxis?

Aus den Männergruppen kann ich berichten, dass durch den Stellenwert, den Fortuna Düsseldorf als lokale Marke und Verein in Düsseldorf hat, die Besuche sehr positiv aufgenommen werden. Für viele Gäste ist ein Besuch mit dem „Fortunakoffer“ ein absolutes Highlight.

Ist Fortuna Düsseldorf der einzige Fußballverein, der ein solches Projekt umgesetzt hat?

Es gibt noch Projekte in Gelsenkirchen und vor allem in Bielefeld, die das Thema Vereinsfußball als Ressource für Menschen mit Demenz nutzen. Die Kooperation von Fortuna Düsseldorf als Fußballverein und Demenznetz Düsseldorf ist allerdings ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Wobei Stefan Felix berichtet, dass das Projekt auf der letzten Fachtagung der Behindertenvertreter der Bundesligavereine mit viel Interesse aufgenommen wurde und auch andere Vereine darüber nachdenken, im Feld Demenz tätig zu werden.

An wen können sich interessierte Einrichtungen wenden? Muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um an dem Projekt teilnehmen zu können?

Interessierte können sich direkt an Fortuna Düsseldorf wenden (erinnerungskoffer@f95.de), dort werden die Einsätze mit dem Erinnerungskoffer koordiniert. Weitere Informationen gibt es bei: https://www.f95.de/aktuell/news/jugend/detail/22696-der-erinnerungskoffer-von-fortuna-duesseldorf/5e2aaec1ac6c4726b46c880ee946ba5b/

Besuchen Sie auch demenziell veränderte Menschen, die noch zuhause leben?

Mittelfristig ist es beabsichtigt, dass geschulte ehrenamtliche Helferinnen und Helfer der Fortuna Menschen mit Demenz in ihrem eigenen zu Hause besuchen. Aktuell ist schon die erste Schulungsreihe des Demenznetzes Düsseldorf angelaufen, an der auch Ehrenamtliche von Fortuna Düsseldorf teilnehmen.

Können Sie vielleicht eine kleine Anekdote oder Geschichte erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit dem Erinnerungskoffer erreichen können?

Eine interessante Anekdote aus der Männergruppe „Halbzeit“ war, als ein Gast von seinen Stadionbesuchen im alten Stadion am Flinger Broich erzählte. Das war zu einer Zeit, als das Rheinstadion bereits existierte. Was keiner der Anwesenden wusste: Beide Stadien sind in den 70ern einige Zeit parallel benutzt worden. Der Herr konnte sich in der Situation als Experte präsentieren, dessen Fachwissen sogar dem der „offiziellen“ Fortuna-Fans überlegen war. Ein anderes Ereignis aus der Gruppe „Anpfiff“ zeigt besonders gut, wie das Projekt wirken kann. Dort erinnerte sich bei dem Besuch mit dem Erinnerungskoffer einer noch an seine eigenen Spiele als Mittelstürmer in der damaligen vierten Liga. Bei einem Spiel ist er gegen den späteren Trainer von Fortuna Düsseldorf, einen gewissen Otto Rehhagel, angetreten. Er berichtete, dass „der Rehhagel bei TuS Helene eigentlich noch A-Jugend spielen durfte. Aber der war damals schon so gut, dass er in die Seniorenmannschaft hochzogen wurde.“ Jedenfalls war „der Rehhagel“ so gut, dass er keine Chance gegen ihn hatte, und erst eine taktische Umstellung, die er selbst angeregt hatte, sorgte noch für ein Unentschieden.

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Ich wünsche mir, dass das Beispiel von Fortuna Düsseldorf Schule macht und von anderen Vereinen, auch anderer Sportarten, aufgegriffen wird. So könnten weitere Projekte entstehen, bei denen „lokale Marken“ ihren gesellschaftlichen Stellenwert einbringen, damit einerseits Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen direkte Unterstützung erhalten und andererseits das Thema Demenz stärker in die öffentliche Wahrnehmung gebracht wird. Und zwar so, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sich ernstgenommen fühlen, ihnen Perspektiven aufzeigt werden und Verbindungen zu Unterstützungssystemen entstehen können.

Herzlichen Dank, Herr Lindemann!!!

Zur Internetseite: https://caritas.erzbistum-koeln.de/duesseldorf-cv/betreuung_pflege_senioren/demenz/

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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