Die dunkle Seite der Biografiebögen. Oder: Das geht euch gar nichts an!
In der Seniorenarbeit lernt man in nahezu jedem Seminar wie wichtig die Biografie der Menschen ist, mit denen man arbeitet. Das stimmt. Dem ist nichts entgegen zu setzen. Was in der Praxis aus dieser Erkenntnis folgt ist manchmal allerdings mehr als wunderlich. Manchmal habe ich das Gefühl in der Arbeit mit Menschen mit Demenz wird jeder 2-Wochen-Praktikant automatisch zum Psychologen ernannt. Für viele Verhaltensweisen werden ganz einfache, logische Kausalzusammenhänge hergestellt: Herr W. mag keine Gartentätigkeiten, weil er als Kind immer gezwungen war auf dem Feld zu helfen/ Frau Y. trinkt aus der dicken Blumenvase, weil die Gläser in ihrer Heimat ungefähr so aussahen.
Manchmal mögen solche Zusammenhänge stimmen. Aber oft eben auch nicht. Was wissen wir wirklich über die Biografie der Menschen, mit denen wir arbeiten? Was erzählen und diese Menschen? Was verschweigen sie uns? Was wissen die Angehörigen wirklich? Was verschweigen die Angehörigen?
Denken Sie mal über sich selbst nach: Sind sie so einfach gestrickt? In manchen Punkten vielleicht. In anderen sicher nicht. Ob meine Kinder später wissen werden, dass ich Sitzkissen hasse, weil ich mit immer vorstellen muss, dass sie uringetränkt sind (leider zu oft erlebt 😉 )? Werden Sie es dem Pflegepersonal sagen können, wenn ich mich später im Altenheim nicht hinsetzen lasse? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Was ist mit den anderen Erlebnissen. Den ernsteren. Da gibt es die Erlebnisse, die von außen gut sichtbar sind: Ein Kind, das jemand verloren hat. Diese Information taucht mit Sicherheit in einem Biografiebogen auf. Doch dann sind da die Informationen, die an die Nieren gehen, die privat sind, die von außen nicht gut sichtbar sind. Was ist mit der Erziehung, in der das Kind zum Schreien auf den Balkon gestellt wurde, in der körperliche Züchtigung Alltag war, Haushalten mit vom Krieg traumatisierten Vätern, den Dingen die doch ganz „normal“ waren und doch so viele verletzte Seelen hinterlassen haben. „Indianer kennen keinen Schmerz“, „stell dich nicht so an“, „beruhig dich mal“, schreckliche Sätze, die Kinder zum Verstummen bringen und dazu bringen an ihren eigenen Gefühlen und Realtitätseinschätzungen zu zweifeln. Sprüche, die Eltern auch heute noch manchmal rausrutschen. Sprüche, die früher noch nicht mal hinterfragt wurden. Das Verstummen hält oft weit über das Kindesalter an. Wird schon nicht so schlimm gewesen sein. Wenn etwas nicht so schlimm war, muss es auch nicht erzählt werden, landet es auch nicht im Biografiebogen, wissen auch die nächsten Angehörigen nix davon. Wer weiß schon, warum Frau U. manchmal ganz plötzlich nach Hilfe ruft und sich kaum beruhigen lässt.
Manchmal erhascht man einen Blick auf Geschichten, die lassen einem den Atem stocken. Menschen halten viel aus. Gehen wir lieber nicht davon aus, dass sie uns alles erzählen. Denken Sie mal über sich selbst nach? Wer kennt die prägendsten Ereignisse aus Ihrem Leben? Die unschönen? Die gemeinen Sätze, die sich tief in Ihr Gehirn gefressen haben? Wer kennt Ihre dunkle Seite?
Hoffentlich ein paar gute Freunde. Der Biografiebogen sicher nicht!
*Biografiearbeit*
Ich hab eine BW, wenn sie in ihrer Angst/Panik Phase ist ist es echt hart. Was sie erlebt haben muss früher muss die Hölle gewesen sein. Wir versuchen sie zwar mit Beschäftigung aus der Situtation zubringen, aber meistens lässt sie sich nur noch mit Medis beruhigen. 🙁