Künstlerisch neurologische Musiktherapie

Im Gespräch mit Julia Alexa Kraft

 

juliaalexakraft

Hallo Frau Kraft, stellen Sie sich doch bitte kurz vor
Mein Name ist Julia Alexa Kraft, ich bin Geigerin, Violinpädagogin und Musiktherapeutin und lebe in Berlin.
Mit 3 Jahren habe ich begonnen Geige zu spielen und diese Leidenschaft habe ich zu meinem Beruf gemacht: seit früher Jugend habe ich bereits Konzerte im In- und Ausland gespielt, Preise und Stipendien gewonnen. Nach meinem Musikstudium habe ich in großen deutschen Orchestern Engagements bekommen, u.a. im Gewandhausorchester Leipzig und Deutsche Oper Berlin.
Da mich die Wirkweise der Musik immer interessiert hat, habe ich noch ein Studium der Musiktherapie abgeschlossen und arbeite nun – neben meiner Tätigkeit als Geigerin und Pädagogin seit 3 Jahren als Musiktherapeutin.
Mit der von mir entwickelten Methode der „Künstlerisch neurologischen Musiktherapie“ arbeite ich vorwiegend mit Demenzpatienten und Patienten nach Schlaganfall.

 

Was sind Inhalte und Ziele einer „Künstlerisch neurologischen Musiktherapie“?
In der „Künstlerisch neurologische Musiktherapie“ (KNMT) kommt neben dem sensomotorischen-, und Kognitionstraining auch eine starke emotionale Komponente zum Tragen.
Wie der Name schon sagt, verbindet dieses Therapiekonzept Methoden aus der trainingszentrierten, „Neurologischen Musiktherapie“ mit dem freien künstlerischen Ausdruck, der uns allen – beispielsweise in der Improvisation- gegeben ist und als ein Spiegel der Seele fungieren kann.
Das Instrumentalspiel steht im Mittelpunkt der Handlung: der Patient und ich musizieren gemeinsam, mit Noten, auswendig oder improvisierend. Unsere Kommunikation erfolgt in erster Linie durch die Begegnung in der Musik: es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“. Oft musizieren wir zweistimmig, was nicht nur einen vertiefenden Dialog in der Musik ermöglicht, sondern auch einen größeren Trainingserfolg hat: u.a. werden verschiedene Formen der Aufmerksamkeit gleichzeitig trainiert.
Das Training ist ein zentrales Element des gesamten Therapiekonzeptes: es geht um Erhaltung und Förderung von Fähigkeiten, die dem Patienten ein Gefühl von Lebensfreude und Lebensmut vermitteln, ein Gefühl, von „ich kann etwas und das macht mir Freude “.
Die Musik erleichtert auch das Ausführen von Bewegungsabläufen, die sonst als schmerzhaft oder unangenehm erlebt werden.

 

Sie behandeln Menschen im Frühstadium einer Demenzerkrankung. Was kann die Musiktherapie erreichen, was wir in anderen Therapien nicht erreichen können?
Die Vorzüge der Musiktherapie liegen in der Möglichkeit, den Menschen unmittelbar emotional zu erreichen. „Musik geht uns ans Herz“- dieser Satz trifft es einfach. Hier liegen die größten Chancen aber auch die größten Herausforderungen.
Oft sind besondere Ereignisse im Leben eines Menschen mit speziellen Musikstücken gekoppelt, die entweder positiv oder negativ abgespeichert wurden: die Erinnerungen sind sofort wieder da, wenn die Musik erklingt, auch wenn die Ereignisse Jahrzehnte zurück liegen.
Um effektiv mit der KNMT arbeiten zu können, ist es wichtig einen Einblick in die musikalische Biographie des Patienten zu erhalten, um die „richtige“ Musik auszuwählen. Nur wenn den Patienten die Musik „beflügelt“ und positiv stimmt, kann auch ein Therapieerfolg sichtbar werden.
Interessanterweise zeigt sich oft im Verlauf der Therapie, dass trotz schwächer werdender kognitiver Leistungen (wie Notenlesen) sich häufig die Klangqualität und der musikalische Ausdruck bei den Patienten verbessern.
Die Musiktherapie kann also erreichen, dass Körper, Geist und Seele –im wahrsten Sinne- in Einklang kommen.

 

Muss man besonders musikalisch sein oder ein Instrument spielen um von Ihnen behandelt werden zu können?
Die KNMT greift auf bereits erworbene Fähigkeiten zurück: die Patienten sollten in ihrer Kindheit oder Jugend ein Instrument erlernt und Lust haben, diese vorhandene Ressource wieder für sich zu nutzen.
Diese früh erworbenen musikalisch- instrumentalen Fähigkeiten sind in tiefen Hirnregionen verankert, so dass sie sogar noch verfügbar sind, wenn die Sprache schon an ihre Grenzen kommt: nach meinen Erfahrungen überdauert die Fähigkeit, sich auf seinem Instrument auszudrücken den verbalen Ausdruck!

 

Welche Menschen mit welchen Krankheitsbildern wenden sich an Sie?
In erster Linie Menschen mit neurologischen Erkrankungen, besonders im Frühstadium einer Demenz oder nach Schlaganfall.
Aber auch präventiv: immer häufiger fragen Menschen ohne jegliche Diagnose bei mir an, die ihre instrumentalen Fähigkeiten für sich nutzen wollen um im Alter fit zu bleiben.

 

Können Sie vielleicht eine kleine Anekdote oder Geschichte erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?
Ein Patient, den ich seit einiger Zeit betreue, war immer sehr kritisch mit sich und tat sich schwer ein Lob von mir anzunehmen. Wenn ich mich über unser Zusammenspiel freute, so entgegnete er trocken: „na ja, das Wetter ist ja auch ganz schön heute“. Gelang einmal etwas nicht so gut, so dass wir unser Musizieren unterbrechen mussten, sagte ich lächelnd: „das ist gar nicht schlimm, das machen wir einfach nochmal!“
Vor ein paar Wochen überraschte mich mein Patient dann: wieder einmal unterbrachen wir unser Musikstück, mein Patient suchte die Notenzeile. Statt sich zu ärgern strahlte er mich plötzlich an und sagte: „das ist nicht so schlimm, das machen wir einfach nochmal!“

 

Was können Sie uns für die Behandlung und Betreuung von Menschen mit Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen aus Ihren Erfahrungen mit der Musik mitgeben?
Die individuelle Zuwendung ist nach meinen Erfahrungen ein sehr wichtiger und nicht zu unterschätzender Faktor für Demenzpatienten. Leider ist das – bis heute- auch immer noch eine Kostenfrage.
Menschen mit Demenzerkrankungen erleben ihre Situation häufig als große Diskrepanz zwischen ihren früheren Fähigkeiten und der aktuellen (und schlechter werdenden) Situation. Gleichzeitig findet im 3. Lebensabschnitt oft auch eine Auseinandersetzung mit dem bisherigen Leben und dem Lebensende statt, so dass hier natürlich auch psychische Auswirkungen spürbar werden: Trauer und Wut müssen einen Raum bekommen.
In einem geschützten Rahmen, in dem sich ein Patient aufgehoben und angenommen fühlt kann er sich auch wieder entfalten: ganz nach seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen.
Die Musik und das aktive instrumentale Musizieren bieten hier eine wunderbare Möglichkeit für den Patienten sich mit den vorhandenen Fähigkeiten selbstbewusster wahrzunehmen und ein Stück Lebensfreude zurück zu gewinnen.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Musiktherapie endlich von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt wird, so dass sie für alle Patienten ambulant zur Verfügung steht: viele Patienten können sich derzeit eine wöchentliche Musiktherapie nicht leisten.
Wir brauchen dafür dringend evidenzbasierte Wirksamkeitsstudien, wie es bei der Neurologischen Musiktherapie schon der Fall ist. Die Vernetzung zu den Neurowissenschaften ist dafür m. E. extrem wichtig: es gibt bereits Interesse von Seiten der Charité Berlin und der FU Berlin eine solche Studie zum aktiven instrumentalen Musizieren durchzuführen.
Demenzpatienten und ihre Angehörigen brauchen eine positive Lebensperspektive und nicht die ganze Zeit Sorgen um finanzielle und organisatorische Fragen. Wenn wir es schaffen, die Angehörigen zu entlasten und gleichzeitig den Patienten einen langen Verbleib in ihrem Zuhause zu ermöglichen, werden wir nicht nur für eine bessere Lebensqualität aller sorgen, sondern auch weniger Kosten durch stationäre-, oder Heimbetreuung haben.

 

 

 

Herzlichen Dank, Frau Kraft!!!

 

 

Zur Internetseite: www.musiktherapie-kraft.de

 

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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