dementia+art – Eine schöne Zeit erleben

Im Gespräch mit Jochen Schmauck-Langer

 

 

schmaucklanger

 

 

Hallo Herr Schmauck-Langer, stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Ich bin Kulturgeragoge, habe Literatur, Geschichte und Medienwissenschaft studiert und viele Jahre als Autor sowie drei Jahre lang in einer stationären Einrichtung mit Menschen mit Demenz gearbeitet. Mit diesen Erfahrungen verstehe ich mich immer mehr als Kulturmanager, arbeite aber auch praktisch als Kunstbegleiter für Menschen mit Demenz. Ich habe die Qualifikation zur Alltagsbegleitung von Menschen mit Demenz (nach § 87 b SGB) und bin Mitglied im Bundesverband Museumspädagogik.

 

 

Sie haben mit dementia+art ein Modell kultureller Teilhabe für Menschen mit Demenz entwickelt. Wer und was steht hinter dementia+art und welche Ziele verfolgen Sie?

Bei dementia+art arbeiten Fachleute aus dem Kultur- und dem Demenzbereich zusammen. Diese Verankerung in beiden Bereichen ermöglicht es uns, Biografie- und Ressourcen-orientiert passgenaue Angebote im Bereich der sogenannten ‚Hochkultur‘ für Menschen mit Demenz zu schaffen. Dabei ist es uns wichtig, funktionierende Netzwerke zu knüpfen, die beiden Bereichen gerecht werden. Unser Ziel ist es, den Betroffenen, den Angehörigen und Wegbegleitern eine Schöne Zeit zu ermöglichen.

 

 

Welche Menschen möchten Sie mit Ihrem Angebot erreichen?

Mit unseren Kulturpartnern im Museums- und Konzertbereich haben wir differenzierte Angebote für Menschen in einer frühen, mittleren und späten Phase ihrer Demenz entwickelt. Dabei beziehen wir die Angehörigen mit ein, bieten aber auch Entlastungsangebote nur für Angehörige an. Zudem wird Kulturelle Teilhabe nicht nur als Chance für die Betroffenen verstanden sondern auch für professionell oder ehrenamtlich Engagierte im Bereich Pflege und Betreuung. Denn geschulte und qualifizierte Begleitung ist unverzichtbar: Kulturvermittler erwerben in unseren praxisorientierten Weiterbildungen Kenntnisse über das Krankheitsbild und die Art der Kommunikation. Pflegende und Betreuende hingegen sollen als Kulturbegleiter ‚Verstärker‘ kultureller Teilhabe sein, sie vorbereiten sowie nachhaltig gestalten.

 

 

Warum ist die Teilhabe an kulturellen Ereignissen für Menschen mit Demenz so wichtig?

Unser Modell kultureller Teilhabe stellt sich der demographischen Entwicklung und will den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel aktiv im Sinne von Inklusion mitgestalten. Das Bedürfnis nach Kultur und gesellschaftlicher Teilhabe geht nicht automatisch mit Demenz verloren. Im Gegenteil: ein Museums- oder Theaterbesuch, Kino, Konzert, ein von Kunst und Kultur geprägtes Umfeld können Schlüssel zur emotionalen Welt von Menschen mit Demenz sein. Dabei orientieren wir uns an der neurologisch abgesicherten Erfahrung, dass die emotionsnahen Angebote im Bereich der Kultur besonders geeignet sind, um verbliebene „Inseln des Selbst“ in der Person und Identität zu stabilisieren. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Wir setzen dem von Katastrophenmeldungen geprägten Bild von Demenz und Krankheit konkrete Beispiele entgegen, was ungeachtet einer Demenz an gesellschaftlicher Teilhabe möglich ist.

 

 

Wie sind die Angebote von dementia+art für demenziell erkrankte Menschen gestaltet?

Wir entwickeln zusammen mit unseren Kulturpartnern passgenaue Angebote, d.h. wir stülpen vorhandene Angebote nicht einfach für den Bereich Demenz über, sondern orientieren uns zunächst an den vorhandenen Ressourcen. Grundsätzlich sind alle Angebote nach kulturgeragogischen Prinzipien eingerichtet. Innere und äußere Barrierefreiheit müssen gewährleistet sein. Dabei geht es nicht nur um Treppenstufen sondern vor allem um die Auswahl der Inhalte und die Art der Kommunikation.

 

 

Können Sie vielleicht eine kleine Anekdote oder Geschichte erzählen, die verdeutlicht, was Sie mit Ihrer Arbeit erreichen können?

Wir erleben, dass Menschen mit Demenz, die schon ‚versunken‘ waren, bei unseren Führungen Lichtblicke erkennen ließen, fröhlich und gelöst waren. Nicht wenige Angehörige schauen staunend auf diese aktive Teilhabe und können sich zugleich einmal in ihrer oft sehr belastenden Rolle zurücknehmen. Sie werden in zunehmendem Maße wieder zu den eifrigen Museumsbesuchern und Konzertgängern, die sie früher vielleicht einmal waren – zusammen mit ihrem Angehörigen mit Demenz.

 

 

Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz ist ein noch sehr neuer Bereich. dementia+art hat mit dem ‚Kölner Modell‘ erstmals Strukturen geschaffen, die Angebote und Nachfrage auf der Basis von Netzwerken zusammenführen. Unsere bundesweiten Weiterbildungen schaffen die Grundlage für eine qualifizierte Begleitung in den beiden Bereichen. Dass diese Strukturen (und nicht nur persönliches Engagement) unabdingbar sind für ein Gelingen des demographischen Wandels im Bereich Demenz und Hochaltrigkeit: das wünsche ich mir!

 

 

Herzlichen Dank, Herr Schmauck-Langer!!!
Zur Internetseite: www.dementia-und-art.de

Annika

© by Annika Schneider. Staatlich examinierte Ergotherapeutin, Chefredakteurin von Mal-alt-werden.de. Bücher von Annika Schneider finden Sie hier.

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